Auf seinem jüngsten Solo-Album “Johann Sebastian Bach” stellt Víkingur Ólafsson die Werke des monumentalen Barock-Komponisten in einen neuen Kontext, bringt seinen eigenen Tonfall in die Tonsprache des musikalischen Genies. “Jetzt spielen Hipster auch noch Bach”, titelte die Welt und beschrieb das Album als “neuen Sound der Großstadt”. Nun legt der gefeierte isländische Pianist mit “Bach Reworks / Part 1” nach. Das digital erhältliche Album enthält vier neue Remixe seiner Interpretation von Johann Sebastian Bachs Präludium BWV 855a. Den Rahmen bilden zwei Bearbeitungen des C-Dur Präludiums (BWV 846) für Klavier und Electronics. Anfang 2019 folgt “Bach Reworks / Part 2”, beide werden dann auch als Vinyl erscheinen.
Der international gut vernetzte Kosmopolit und Klassik-TV-Moderator gewann vier der spannendsten zeitgenössischen elektronischen Klangkünstler und Tontechniker für das Projekt: Serien-Freunde kennen den in Island lebenden Australier Ben Frost durch seinen aktuellen Soundtrack der Sci-Fi-Thriller-Reihe Dark. Der Produzent und Tontechniker Valgeir Sigurosson wurde als rechte Hand Björks berühmt, seine Greenhouse-Studios in Reykjavik waren die Anlaufstelle von Brian Eno und Leslie Feist. Der britische Cellist und Tontechniker Peter Gregson hat gerade J.S. Bachs Cello-Suiten auf einem neuen Album der renommierten Recomposed-Reihe adaptiert. Davor arrangierte er die Streicher auf Ed Sheerans 2018 mit einem Grammy ausgezeichneten Bestseller-Album Divide. Während Frost und Gregson wie Ólafsson noch in den Dreißigern sind, Sigurosson gut zehn Jahre älter, betritt hier mit Hans-Joachim Roedelius ein Veteran des Krautrocks, Ambients und der Neoklassik die Bühne. Mit seinem Remix knüpft der bald−84-Jährige hier klanglich an sein jüngstes Album Einfluss an, das er mit dem jungen Berliner Elektronik-Produzenten Arnold Kasar aufgenommen hat.
Im Februar 2018 verstarb in Berlin ganz plötzlich der Freund, Kompatriot und musikalische Kollaborateur. Immer wieder hält Ólafsson beim Spielen inne, schlägt manche Tasten nur so leicht an, dass der Hammer gar nicht die Seite berührt. Die Ruhe vor dem Sturm? Dann geht es auf die Reise: Peter Gregson legt einen sehr offenen Hall, nimmt einen elektronischen Bass dazu, streut natürliche Klänge ein, in denen das Bach’sche Präludium nahezu verschwindet, bevor Gregson das Motiv mit dem vollen weichen Klang seines Cellos wieder in den Vordergrund spielt. Ben Frosts Remix geizt nicht mit skurrilen, flirrenden Soundscapes, über die er statische Orgeltöne legt, die dem Hörer kurzzeitig die Orientierung nehmen. Für Momente wird Bach schizophren, am Ende verschmilzt es alles in einem großen leuchtenden Moment. Abgeklärt, milde und spirituell erscheint Bach durch die Brille von Roedelius, der Ólafssons intakte Aufnahme in die Weite stellt. Die Grenzen lotet er mit sanften, zurückhaltenden Sounds, mit Glocken, Triangeln und vokalem Summen aus. Gar nicht zimperlich geht dagegen Valgeir Sigurosson vor, der die Komposition defragmentiert und neu arrangiert, die Melodie auf ein Glockenspiel legt, unten bröckelt mit unberechenbaren elektronischen Sounds der Boden weg, doch der Hörer gleitet auf fliegenden Klangteppichen unversehrt zur Schlussfermate. Geläutert und bestärkt, nimmt Ólafsson zum Ende des Albums das Anfangsmotiv wieder auf, es klingt wie ein zu Hause Ankommen.
In seinem modern klingenden, für manche nüchternen, dann wieder sehr emotionalen, spezifischem Klavierspiel, enthüllt Olafsson immer wieder neue Aspekte von Werken der Klassischen Musik, von Bach, über Brahms, Chopin und Schubert, bis hin zu Philip Glass. Mit den neuen Remixen aus Johann Sebastian Bach hat Olafsson mutig gezeigt, dass Bachs Musik wie keine andere die Kraft besitzt, in alle möglichen Richtungen bearbeitet zu werden und dabei nichts von ihrer Faszination und Schönheit verliert.