Die Goldberg-Variationen sind eines der Gipfelwerke der Klavierliteratur und ziehen mit ihrer meisterlichen Kompositionstechnik, innigen Musikalität und Dramaturgie zeitlos in den Bann. Der isländische Pianist Víkingur Ólafsson hat nicht weniger als ein Vierteljahrhundert davon geträumt, dieses monumentale Werk aufzunehmen. Nun ist es soweit und der gefeierte Künstler veröffentlicht am 6. Oktober sein Album bei Deutsche Grammophon.
Víkingur Ólafsson zählt mit gutem Grund zu einem der erfolgreichsten und international herausragendsten Interpreten seiner Generation, vereint er in seinem Spiel doch eine ungemeine Reife und Klugheit mit visionärer Deutungskraft und mutiger Neugierde. Das reine Wiedergeben bewährter Klassiker reizt ihn wenig, vielmehr vermag es der Pianist, in seinen Konzeptprogrammen und ungewöhnlichen Interpretationsansätzen spannende neue Aspekte und klangliche Nuancen in Werken herauszuarbeiten und diese so ganz neu erlebbar zu machen. Mit den Goldberg-Variationen hat sich Ólafsson nun einem der für ihn wichtigsten Werke angenommen, das ihn bereits seit Beginn seines Lebens begleitet.
Ólafsson hat sich bereits seit Langem intensiv mit dem Werk von Johann Sebastian Bach auseinandergesetzt und ihm bereits ein viel beachtetes Album beim gelben Label gewidmet. Bei seiner Sicht auf den barocken Meisterkomponisten sieht der Pianist enge Verbindungen zur Architektur, was die vollendet ausgestalteten Proportionen und die detailreiche Ausgestaltung der Musik anbelangt. Gleichzeitig hebt er die menschlichen Facetten der Musik hervor und erweckt Bachs musikalisches Erbe in ganz unterschiedlichen Farben und Stimmungen zum Leben.
Die Goldberg-Variationen erhielten erst später ihren heutigen Namen, von Bach selbst wurden sie im Erstdruck 1741 als “Clavier Ubung bestehend in einer ARIA mit verschiedenen Verænderungen vors Clavicimbal mit 2 Manualen” bezeichnet. Die einzelnen Variationen bestechen dabei mit ihrem jeweils ganz eigenen Charakter und stellen als Gesamtkunstwerk einen Höhepunkt barocker Variationskunst dar. Aus Sicht von Ólafsson zeigt sich Bach in den Variationen als größter Klaviervirtuose seiner Zeit, der hier “Beispiele genialer Verwendung des Kontrapunkts und zahllose Momente erhabener Poesie, abstrakter Kontemplation und tiefer Emotion – das Ganze in der makellos gestalteten Architektur formaler Perfektion” festhält. Die Vielgestaltigkeit und Zentriertheit gleichermaßen vergleicht der Künstler dabei mit dem Bild einer mächtigen Eiche – “nicht weniger imposant, aber organisch, lebendig und dynamisch, mit flexiblen, erneuerbaren Formen, mit Blättern, die sich ständig entfalten, um durch eine metaphysische, die Zeit manipulierende Fotosynthese musikalischen Sauerstoff für ihre Bewunderer zu produzieren”.
Wie schon auf seinen bisherigen Alben zeigt sich Ólafsson auch bei seiner Interpretation der Goldberg-Variationen als begnadeter Kommunikator und feinsinniger Poet gleichermaßen, der in seinem differenzierten Spiel inspiriert und zutiefst menschlich das Meisterwerk Bachs durchdringt. Dabei gelingt es ihm, in dem bekannten Variationswerk ungeahnte neue Facetten herauszuarbeiten und die Vielfalt der Variationen gleich eines schillernden Mosaiks hörbar zu machen. Frisch, ausdrucksstark und lebensbejahend ist es schließlich die ihm eigene Mischung aus Respekt und Kühnheit, die einen Neuzugang zu dem Werk ermöglicht – ein Meilenstein in seiner Karriere und für die Hörer eine Entdeckung.