Vor mittlerweile sechs Jahren schrieb Seong-Jin Cho Geschichte. Als erster südkoreanischer Pianist gewann der damals erst 21-Jährige den ersten Preis beim internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau und begeisterte mit seiner technischen Meisterschaft und künstlerischen Reife die Jury ebenso wie das Publikum. Mittlerweile zählt Cho zu den gefragtesten Interpreten unserer Zeit und ist bis heute seiner besonderen Liebe zur Musik Frédéric Chopins treu geblieben. Dies belegt auch das jüngste Album des Pianisten, das am 27. August 2021 bei Deutsche Grammophon erscheint und für das Cho neben dem zweiten Klavierkonzert die vier Scherzi des Komponisten aufgenommen hat. Es ist sein sechstes Album und bereits seine dritte Chopin-Einspielung beim gelben Label. Begleitet wird er dabei vom London Symphony Orchestra unter Leitung von Gianandrea Noseda.
Das zweite Klavierkonzert ist fraglos ein Meisterwerk und besticht mit einer ausgesprochen farbenreichen Palette an Emotionen und Klängen, die in weitgeschwungenen Melodielinien zum Tragen kommen. Dabei reicht die Spannweite vom tragischen Thema des ersten Satzes über einen poetisch zärtlichen zweiten Satz bis hin zur temperamentvollen polnischen Folklore gegen Ende hin und verschmelzen sehnsuchtsvolle Träumerei, jugendliche Kühnheit, tiefer Schmerz und tröstliche Hoffnung in Musik von bewegender Schönheit.
Bei alledem ist es weniger die Virtuosität des Tonsatzes, die das zweite Klavierkonzert ausmacht, denn seine emotionale Tiefe und Dramaturgie, die einer Oper gleicht und insbesondere den Klavierpart prägt. Für Cho offenbart sich Chopin hier auf überaus intime Art und Weise. “Chopins Musik ist ehrlich, sie spiegelt seine emotionale Persönlichkeit und zeigt, dass er keine Angst hatte, sich seinem Publikum und der Welt zu zeigen”, so der Pianist.
Von vergleichbarer Intensität und Dichte sind auch die vier Scherzi von Frédéric Chopin, die Cho als zweiten Teil des Albums eingespielt hat. Mit dem titelgebenden “Scherz” haben diese äußerst herausfordernden Schlüsselwerke des romantischen Klavierrepertoires wenig gemein, vielmehr warten sie mit einer beeindruckenden Bandbreite an Gefühlszuständen auf. Seong-Jin Cho hat die vier Scherzi schon oft als kleinen Zyklus in Konzerten aufgeführt und schätzt ihre musikalische Vielseitigkeit und den Reichtum der Dynamik. So sagt er: “Sie sind sehr unterschiedlich in ihrem Charakter, und darüber hinaus gibt es auch noch große Kontraste innerhalb jedes einzelnen Scherzos”. Wild, extrem und dämonisch im Grundton, zelebriert Chopin in ihnen eine exzessive und ausdrucksstarke Tonsprache, wobei insbesondere die Mischung aus pianistischer Virtuosität und Dramatik in den Bann zieht.
“Man muss die Balance halten zwischen Leidenschaft und Dramatik und den vielen zarten und zerbrechlichen Momenten. Diese Seiten müssen beide zu ihrem Recht kommen” – so beschreibt Cho selbst die Herausforderung, sich Chopins Werken mit entsprechender Vielgestaltigkeit und Sensibilität anzunehmen. Er selbst meistert diese auf einzigartige und berührende Art und Weise und zeigt sich auf seinem neuen Album einmal mehr als einer der intensivsten zeitgenössischen Chopin-Interpreten. Mit jugendlicher Hingabe und beeindruckender Reife arbeitet er in seinem Spiel die Poesie der Zwischentöne heraus, gestaltet farbenreich und sängerisch die Melodielinien aus und beweist bei alledem eine faszinierende Technik und hoch kultivierte Anschlagskultur.
Im innigen musikalischen Dialog mit dem London Symphony Orchestra unter Leitung von Gianandrea Noseda, mit dem Cho bereits seit fünf Jahren eine produktive Zusammenarbeit verbindet, wird das zweite Klavierkonzert von Chopin so zum bewegenden emotionalen Musik-Erlebnis, das in der Kombination mit Chopins Scherzi den persönlichen Grundcharakter des neuen Albums prägt. Ebenso überzeugend wie das Hauptprogramm sind auch die drei Bonustitel der digitalen Veröffentlichung des Albums, Impromptu Nr. 1, Op. 29, Nocturne Op. 9 Nr. 2 und die Revolutions-Etüde Op. 10 Nr. 12, zu der Cho bereits ein bewegendes Musikvideo veröffentlich hat.