Paris war für Cho Liebe auf den ersten Blick. In der französischen Metropole ist die Kunst zuhause. Hier atmet sie. Hier darf sie sich austoben und wird, wenn sie Gestalt angenommen hat, in großartigen Museen wie dem Louvre sorgsam aufbewahrt. Wo die bildende Kunst blüht, da ist aber auch die Musik nicht fern. Paris ist die Stadt leidenschaftlicher Romantiker wie Chopin oder Saint-Saëns, impressionistischer Neuerer wie Ravel oder Debussy und erstaunlicher Einzelgänger wie Erik Satie.
Was sie eint, ist der Hang zum Träumen, zum endlosen Schweifen. Paris lädt ein, den Alltag zu vergessen, sich fallen zu lassen und in Erinnerungen zu schwelgen. Chopin hat dieser melancholischen Stimmung, die sich mit exzessiver Tanzlust und Gefühlen der Verliebtheit verbinden kann, auf grandiose Weise Ausdruck verliehen. Er brachte die Salons zum Schwingen. Das Eis der bürgerlichen Welt brach. Die Leidenschaften kamen zum Vorschein.
Die Impressionisten trieben dieses Spiel mit exotischen Harmonien und eigenwilligen Rhythmen weiter. Das Feld der träumerischen Entdeckungen schien unermesslich, und dass es seine Geheimnisse bewahrt hat, beweist Seong-Jin Cho, der rund 100 Jahre später dem poetisch-fließenden Lebensgefühl der Impressionisten auf der Spur ist. Cho hat es sich nicht leicht gemacht. Er hat, obwohl er “Children’s Corner” bereits mit elf Jahren spielte, Debussy langsam in sich reifen lassen.
Mit Chopin betrat er vor zwei Jahren die Weltbühne. Seit Cho 2015 mit denkwürdigen Auftritten den Internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau gewann, ist der 1994 in Seoul geborene Ausnahmepianist ein gemachter Mann. Dass er in Paris leben darf, ist für den zurückhaltenden Koreaner, der eine durch und durch elegante Erscheinung ist, der Himmel auf Erden. Mit seinem renommierten Lehrer, dem Debussy-Spezialisten Michel Béroff, erkundete er in den zurückliegenden Jahren intensiv französisches Klavierrepertoire.
Um Debussy besser zu verstehen, folgte er den Spuren des französischen Komponisten in Paris und nahm den Geist der Impressionisten, der für Cho an vielen Orten der Stadt nachweht, tief in sich auf. Der junge Star-Pianist besorgte sich Jahreskarten für das Musée d’Orsay und das Musée de l’Orangerie, setzte sich vor die Seerosen-Bilder Monets und fühlte sich in die flüchtige, wie ein Hauch vorüberziehende Stimmung des Impressionismus ein. Jetzt kann er die Früchte ernten. Jetzt zeigt sich, dass sich seine intensive Vorbereitung bezahlt gemacht hat.
Mit seinem neuen Album führt Cho eindrucksvoll vor, wie tief er den Geist des Impressionismus durchdrungen hat. Cho folgt den Wellenbewegungen Debussys mit viel Geschick. Erstaunlich, wie leicht er in den Images I und II über die Tasten gleitet und das Gefühl des Flüchtigen in Klang verwandelt. In “Reflets dans l’eau” klingt dies, obwohl der Titel auf Naturerscheinungen anspielt, zugleich wie Kaffeehausmusik.
Dadurch hat man stets das Gefühl von etwas Modernem, Urbanem. Paris eben! Berührend naiv: “Children’s Corner”, das Cho hinreißend natürlich spielt, eine Gabe, die ihm auch in dem verliebt anmutenden “Clair de lune” aus der “Suite bergamasque” zugute kommt. “L’Isle joyeuse” bildet den krönenden Abschluss des Albums. Die exotisch-flirrende Stimmung dieser Komposition fängt Cho mit bewundernswerter Souveränität ein.