Rafał Blechacz ist einer der triumphalsten Gewinner des renommierten Chopin-Wettbewerbs von Warschau. Die Juroren waren so überwältigt von seinem Spiel, dass sie im Jahre 2005 keinen zweiten Preis vergaben. Sie wollten zum Ausdruck bringen, dass Blechacz eine Klasse für sich ist: unvergleichlich, in nicht zu erklimmenden Höhen unterwegs.
Doch Rafał Blechacz pflegt ein sympathisches Understatement und führt ein eher zurückgezogenes, ganz und gar der Musik gewidmetes Leben. Das steigert die Spannung, mit der auf Neuerscheinungen des polnischen Pianisten reagiert wird, natürlich umso mehr, zumal seine bisherigen Veröffentlichungen stets Bestnoten erhielten und unter Klavierkennern als wahre Geheimtipps gelten.
Jetzt ist es wieder soweit: Ein neues Album von Rafał Blechacz kommt auf den Markt, und wieder sprengt der polnische Meisterpianist sämtliche Kategorien. Diesmal spielt er Johann Sebastian Bach, und er tut dies mit einer solchen Leidenschaft, dass man davon regelrecht überwältigt wird. So lebhaft, so natürlich und klar hat man Bach selten gehört. Meist geht eine der Dimensionen verloren. Wer Bach besonders klar spielt, der droht den natürlichen Fluss zu opfern.
Bei anderen Pianisten geht eine lebhafte, enthusiastische Interpretation nicht selten auf Kosten der entspannten Natürlichkeit. Nicht so bei Blechacz: Ihm gelingt die Quadratur des Kreises. Sein Spiel fließt sanft dahin. Zugleich kommen die Harmonien von Bach differenziert zur Geltung. Und die emotionale Lebhaftigkeit von Rafał Blechacz ist einfach hinreißend. Das zeigt sich schon zu Beginn des neuen Albums. Blechacz legt mit Bachs Italienischem Konzert gleich richtig los. Der erste Satz ist von enormer tänzerischer Energie.
Im zweiten Satz schaltet Blechacz dann sofort zwei Gänge zurück. Jedem einzelnen Ton wird hier Beachtung geschenkt, und das verleiht dem Andante eine ergreifende Würde. Im dritten Satz kehrt der tänzerische Furor zurück, und der fällt wahrhaft mitreißend aus. Überaus sanft geht Rafał Blechacz dagegen mit den Partiten in B-Dur und a-Moll um. Er lässt sie über weite Strecken sanft fließen und betont ihre lyrische Qualität. Das tänzerische Moment tritt dabei, ohne je zu verschwinden, sacht in den Hintergrund.
Pointiert spielt Blechacz die vier Duette. Hier zeigt sich, wie glänzend er sich auf harmonische Klarheit versteht. Elektrisierend modern dagegen: die Fantasie und Fuge in a-Moll. Die Fantasie mutet fast wie ein Impromptu von Franz Schubert an, so visionär klingen ihre Harmonien und so weich fließt sie dahin. Die Fuge nimmt dann ungewöhnlich an Fahrt auf. Das ist fast schon zu schnell, möchte man meinen. Doch je länger man hinhört, desto mehr erschließt sich die Entscheidung des Pianisten.
Das Album endet still und andächtig mit dem von Myra Hess für Klavier transkribierten Choral Jesus bleibet meine Freude. Hier gewinnt die Diskretion, das erstaunlich frühreife Understatement des Pianisten wieder die Oberhand. Es ist, als verschwände Blechacz heimlich von der Bühne, als wollte er sagen: Ist alles kein Ding. Ich geh dann mal wieder. Dem Hörer drängt sich indes ein Zitat von John O’Connor auf: “Blechacz ist einer der großartigsten Künstler, die ich je in meinem Leben gehört habe.”