Amerika galt in den letzten 150 Jahren in vielerlei Hinsicht als Land der tausend Möglichkeiten und ist auch musikalisch von vielen unterschiedlichen kulturellen Einflüssen geprägt worden. Nadine Sierras Debütalbum spiegelt die Diversität und Vielseitigkeit wider und verknüpft sie mit einem ganz persönlichen Blick der Sängerin auf ihre eigene Biografie und ihre Heimat. Mit einem Großvater aus Puerto Rico und einer aus Portugal stammenden Mutter, hat Nadine Sierra selbst unterschiedliche Einflüsse in sich aufgesogen, die in ihrer musikalischen Auseinandersetzung auf dem Album “There’s a place for us” nun berührend zum Ausdruck kommen.
Mit ausgewählten Werken von Leonard Bernstein, Igor Stravinsky, Osvaldo Golijov und Heitor Villa-Lobos macht Nadine Sierra die Einflüsse hörbar, die die kompositorischen Ideen künstlerischer Einwanderer auf die amerikanische Klangsprache hatten und schlägt mit zeitgenössischen amerikanischen Liedern wie “Only Heaven” von Rick Ian Gordan oder einer Arie aus der Oper “The Cows of Apollo” von Christopher Theofanidis eine Brücke bis ins Hier und Jetzt. Nadine Sierras Wunsch, alle Menschen über die Musik miteinander zu verbinden, steht spürbar im Mittelpunkt ihres Albums, mit dem die Sängerin nicht nur einen musikalischen Eindruck hinterlässt, sondern durch die vielschichtigen Hintergründe der Stücke auch kulturhistorisch den Horizont öffnet und zum Nachdenken anregt.
Der schimmernde Kern von Nadine Sierras silbrigem Timbre bringt die beeindruckende künstlerische Reife zum Ausdruck, die die Sopranistin auszeichnet. Feinste dynamische Abstufungen, schwerelose lange Bögen, eine dunkle Tiefe und eine leuchtende Höhe – die gestalterischen Mittel, mit denen die Sopranistin die Musik zum Leuchten bringt, sind äußerst vielfältig. Nadine Sierras Stimme ist ein lebendiges Instrument mit großer Ausdruckskraft, das mit seiner Wandlungsfähigkeit wie gemacht dafür ist, um das Spannungsfeld von großer amerikanischer Oper bis hin zum brasilianischen Kunstlied auszuloten.
Gemeinsam mit dem Royal Philharmonic Orchestra wirft die Sängerin unter der Leitung von Robert Spano pünktlich zu Leonard Bernsteins 100. Geburtstag auch einen gezielten Blick auf sein Schaffen und hat die Anfangsworte des Liedes “Somewhere” aus seinem berühmten Musical West Side Story ganz bewusst zum Motto und Titel ihres Debütalbums “There’s a place for us” gemacht. Nadine Sierra präsentiert jedoch nicht nur die absoluten Highlights aus Bernsteins Feder, sondern vermittelt mit “Take Care of this House” aus dem Musical “1600 Pennsylvania Avenue”, das Bernstein zur Amtseinführung von Jimmy Carter dirigierte, mit dem feurigen Lied “A Julia de Burgos”, aus dem Orchesterliederzyklus “Songfest” oder mit “Glitter and be Gay” aus dem Musical “Candide” vor allem das weite Spektrum seiner Kompositionen und stellt sie in die Kontext mit anderen Werken, wie beispielsweise der Arie “No Word from Tom” aus Igor Strawinskys Oper “The Rake’s Progress”, die der russische Komponist während seiner Zeit in Los Angeles geschrieben hat und die Amerika aus einer ganz anderen Perspektive zeigt.
Spanisch- und englischsprachige Lieder, wie “Jeannie with the Light Brown Hair”, “Will there really be a Morning?” oder “Lúa Descolorida”, die die sehnsuchtsvollen und sinnlichen poetischen Texte großer Dichter in Musik hüllen oder portugiesische Arien und Lieder wie die melancholische Cantilena aus Bachianas Brasileiras Nr. 5, “Canção do Amor” oder “Melodia Sentimental” von Heitor Villa-Lobos lassen auf dem Album darüber hinaus die Grenzen zwischen Oper, Musical, Kunstlied und Popmusik verschwimmen, so dass ein musikalische Mischung entsteht, die aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln die Reichhaltigkeit der amerikanischen Musikgeschichte zelebriert. Aber vor allem kann man Nadine Sierra als stimmgewaltige und inspirierende Künstlerin erleben, deren einzigartige Stimme mit silbriger Eindringlichkeit alle Werke miteinander verbindet.