Giya Kancheli ist ein Komponist zwischen den Welten. Als gebürtiger Georgier hat er von jungen Jahren an unterschiedliche politische und weltanschauliche Systeme erlebt, die in der Grenzregion zwischen der europäisch-arabischen und asiatischen Kultursphäre aufeinander stießen. Stilistisch hat er sich ebenfalls der Einordnung verweigert. Er ist weder Avantgardist noch konservativ, sondern beseelt von einem profunden Restidealismus, der seinen Glauben an die harmonisierende Kraft der Musik speist. Besonders, wenn sie von so großartigen Künstlern wie Gidon Kremer und Oleg Maisenberg ausgestaltet wird.
Die Neue Musik war vor allem dann neu, als sie sich gegen die ältere absetzen musste. Komponisten wie Schönberg und die Neue Wiener Schule führten mit ihrer Entthronung der Konsonanz die bis in das späte 19.Jahrhundert geltenden harmonisch-melodischen Gesetzmäßigkeiten in die Sackgasse und sorgten zugleich für den nötigen Donnerschlag, der die publizistische Aufmerksamkeit auf sie lenkte. Ein knappes Jahrhundert später wird niemand mehr aus musikalischen Gründen eine Saalschlacht wie am 31. März 1912 anzetteln können. Zuviel ist bereits gesagt, getan und gespielt worden, als dass sich ein Publikum noch derart würde provozieren lassen. Der intellektuelle Widerstand gegen den Mainstream läuft hingegen viel sublimierter ab. Denn herausfordern können nun noch Individualität und Authentizität als Ausdruck eines singulären Gestaltungswillens, der sich von der Masse unterscheidet.
Giya Kancheli zum Beispiel ist ein bescheidener Mensch. Als einer der wichtigsten georgischen Komponisten des vergangenen Jahrhunderts hat der behutsame Visionär aus Tbilisi sich deutlich mit einer Traditionsbildung auseinandergesetzt, die die sozialistischen Funktionäre bestenfalls als vordergründiger Folklorismus interessierte. Weit entfernt von der Propagandakunst mancher Kollegen schrieb er Musik auf der Grundlage seiner regionalen Herkunft, ohne die Klangwelten des Kaukasus direkt zu zitieren. Er verweigerte sich ebenso den plakativen Mitteln der Avantgarde wie dem Anspruch nach vordergründigem Virtuosentum. Sein Ziel ist die Menschlichkeit in der Musik, wie er im Vorwort zu dem Klavierquartett “In L’Istesso Tempo” schreibt: “Indem ich mir all das, was um mich herum geschieht, sehr zu Herzen nehme, versuche ich, in meiner Musik einen Seelenzustand auszudrücken, den ich fühle. Ich schreibe grundsätzlich für mich selbst, ohne irgendwelche Illusionen darüber zu hegen, dass – wie Dostojewski sagte – ‘Schönheit die Welt retten wird’. Darum ist meine Musik eher traurig als glücklich und eher an das einsame Individuum als an die Gesellschaft gerichtet”. Ein paar Sätze weiter heißt es dann: “Meine Gedanken sind in einer extrem einfachen musikalischen Sprache ausgedrückt. Und ich hoffe, dass das Publikum von meinen Kompositionen berührt wird und meine absichtliche Einfachheit nicht mit dem Phänomen verwechselt, das meiner Meinung nach das gefährlichste ist – dem Gefühl der Gleichgültigkeit”.
Die Musiker jedenfalls lassen sich von Giya Kancheli gerne an der Hand nehmen. Alle drei auf Time … And Again versammelten Kompositionen sind Auftragswerke. Das Kremer und Maisenberg gewidmete Titelstück wurde vom Barbican Center in London in Auftrag gegeben und erlebte dort am 7. April 1997 seine Uraufführung. Für die CD-Aufnahme trafen sich die beiden Koryphäen im Dezember 2000 erneut und hielten das nachdenkliche Werk in der Festeburgkirche fest. “V & V” wurde bereits am 8. August 1995 beim Yehudi Menuhin Festival in Gstaad uraufgeführt und “In L’Istesso Tempo” folgte am 13. Oktober 1998 in Seattle durch das Bridge Ensemble. Zusammen ermöglichen die Kompositionen einen erweiterten Blick auf das Oeuvre des ungewöhnlichen Komponisten, der die bereits in verschiedenen Etappen begonnene Werkdarstellung auf ECM New Series kompetent und umsichtig fortsetzt.