Vor wenigen Wochen ging das Kammermusikfestival im österreichischen Lockenhaus zu Ende. Man freue sich, hieß es, wieder 10 Tage außerordentlich intensive Auseinandersetzung mit wunderbarer Musik hinter sich gebracht zu haben und freue sich auf ein bestimmt ebenso herausragendes Kulturereignis im kommenden Jubiläumsjahr, wenn das Festival sein 30jähriges Bestehen feiere. Tatsächlich sind bereits drei Dekaden vergangen, seit der lettische Geiger Gidon Kremer das inzwischen international renommierte Lockenhaus Festival im Burgenland aus der Taufe gehoben und damit ein Forum initiiert hat, das außergewöhnliche Klänge und Musikprojekte auf die Bühne bringt. Das Festival entwickelte sich für den Geiger und künstlerischen Leiter Kremer zu einer experimentellen Spielwiese, die schon aufgrund der besonderen Atmosphäre Ungewöhnliches ermöglicht: „In Lockenhaus“, meinte er im Juli in einem Interview mit den Salzburger Nachrichten, „habe ich immer das Gefühl gehabt, meine Ideen und Musikerfreunde sind willkommen und die Musik wird hier geschätzt, geliebt, auf Händen getragen.“ Und einige Sätze später fügt er hinzu: „Ich habe mein Leben lang versucht, unerwartet zu sein und ein freischaffender, also freier und schaffender Musiker zu sein“.
Der Esprit von Lockenhaus, den ECM New Series von Anfang an mit herausragenden Aufnahmen unterstützte und dokumentierte, wirkt auch durch die Veröffentlichung hindurch, mit der Gidon Kremer und seine Ensembles in diesem Herbst von sich reden machen. „Hymns And Prayers“ wurde anno 2008 im Rahmen des Festivals aufgezeichnet und präsentiert ein Programm, das den Geiger als Souverän der Spannungslenkung und Klangfarbengestaltung ausweist. Zentrum ist dabei das „Klavierquintett f-Moll“ (1878/79) von César Franck, das ähnlich wie das Pendant von Johannes Brahms zu den Höhepunkten und Herausforderungen der spätromantischen Kammermusik gehört. Denn es beinhaltet von der Intimität des sanften harmonischen Augenblicks bis zum Pathos großer Klangeruptionen das gesamte Spielvokabular des späten 19.Jahrhunderts. Und es hat für Gidon Kremer eine besondere Bedeutung, gehörte es doch bereits zu den Stücken, die der noch aufstrebende lettische Star der Musikwelt als Sechzehnjähriger in sein Repertoire aufnahm.
Von Franck bis zu den wichtigen Namen der Gegenwartskunst hat er inzwischen einen weiten und viel beachteten Weg zurückgelegt. Gidon Kremer gehört heute zu den Widmungsträgern zahlreicher zeitgenössischer Kompositionen und auch „Silent Prayer“ wurde ihm gemeinsam mit Mstislav Rostropovich zugedacht. Giya Kancheli hatte das hochemotionale Werk zum 80.Geburtstag des Cellisten und 60.Geburtstag des Geigers 2007 konzipiert und kurz nach dem Tod von Rostropovich dann mit den Titel „Silent Prayer“ versehen. Kremer präsentierte das knapp halbstündige Opus am 7. Oktober 2007 zusammen mit der Kremerata erstmals beim Kronberg Cello Festival, ein Dreivierteljahr später wurde es in Lockenhaus für „Hymns And Prayers“ von Manfred Eicher für ECM New Series festgehalten. Mit den einleitenden „Eight Hymns in memoriam Andrei Tarkovsky“ schließt sich der Kreis des Albums hin zu einer lockeren Suite kammermusikalischer Miniaturen, die der ungarisch-serbische Komponist Stevan Kovacs Tickmayer zwischen 1986 und 2004 zu Ehren des visionären Filmregisseurs geschrieben hat. Lange waren sie unvollendet Teil seines eigenen Konzertrepertoires, in Lockenhaus 2008 gab ihnen Gidon Kremer mit seinen Künstlern – unter anderem der faszinierenden Pianistin Khatia Buniatishvili – eine gültige Form und gestaltete damit die subtile Introduktion, die César Francks mächtiges Klavierquintett zusammen mit Kanchelis „Silent Prayer“ rahmt.