Die Wissenschaftler haben viele Kriterien entwickelt, um Gesang zu beschreiben. Man kann von Timbre, Farbe, Artikulation, Modulation reden und trifft doch nicht den Kern der Faszination, die eine Stimme ausüben kann. Im Fall der Sopranistin Angela Gheorghiu jedenfalls steht fest, dass ihr über die Opernwelt hinaus eine große Schar von Bewunderern zu Füßen liegt. Warum genau, wird jeder anders beschreiben. Ein paar Gründe dafür fasst nun “The Essential” zusammen.
Es war nicht abzusehen, dass Angela Gheorghiu einmal an den großen Opernhäusern der Welt landen würde. In Adjud im rumänischen Moldawien geboren, war sie zunächst ein ganz normales Mädchen ohne besondere Ambitionen. Musik allerdings lag ihr, so sehr, dass sie mit ihrer Schwester zusammen Opernsängerinnen imitierte, die sie im Radio gehört hatte. Das klang gut und so beschlossen ihre Eltern, sie an die Musikschule ihrer Heimatstadt, dann an das nächst größere Pendant in Bukarest zu schicken. Dort wurde aus der begabten Jungstudentin eine ungewöhnlich versierte Sängerin, was sie als Mimi in “La Bohème” unter Beweis stellte, ihre Opernpremiere im Alter von 23 Jahren und zugleich ihre Diplomarbeit. Über viel Glück landete sie an der Wiener Staatsoper, der Durchbruch aber gelang am 25. November 1994, als sie in Covent Garden die Premieren-Violetta aus “La Traviata” sang (Inszenierung Richard Eyre). Es war eine bewegende Aufführung unter erfahrener Leitung. Denn am Pult stand Sir George Solti, der selbst derart betört von der stimmlichen Ausdruckskraft Gheorghius gewesen sein soll, dass er den Tränen nahe war.
Von da an wurde alles leichter. Zunächst lernte die Sopranistin ihren zukünftigen Ehemann kennen, den Tenor Roberto Alagna, der zur selben Spielzeit und am selben Haus Gounods “Romeo” sang. Dann bekam sie einen Vertrag mit der Decca, die grandiose Aufnahmen mit ihr machte, unter anderem ihre Paraderollen in “La Bohème” und “La Traviata”. Gheorghiu wurde herumgereicht, sang an der Met und zahlreichen anderen renommierten Bühnen. Sie erweiterte ihr Repertoire, entwickelte ein Faible für das französische 19.Jahrhundert und den italienischen Verismo und ersang sich eine Anhängerschaft, die in ihrer Verehrung Callas-hafte Formen annahm. Und so stellt sich die kleine Werkschau nach einem erfolgreichen Jahrzehnt erfreulich bunt dar. Da hat es innerliche Emotionen wie in Catalanis “Ebben? … Ne andró lontana”, große Gefühle wie in “Si, mi chiamano Mimi” und “O Soave fanciulla” (aus “La Böhème”, im Duett mit ihrem Mann Alagna), einen humorvollen Donizetti (“Chiedi all’aura lusinghiera” aus “L'élesir d’amore”), aber auch weniger bekannte Melodien etwa aus Verdis “Simon Boccanegra” oder Massenets “Hérodiade”. Gemeinsam haben die Arien allerdings die unbändige Energie und entrückte Klangschönheit, die Gheorghiu zu entwickeln vermag. Hier singt jemand, der in die Reihe außergewöhnlicher Stimmen von der Callas bis zur Caballé gestellt werden darf. Und genau genommen erst am Anfang der Karriere steht. Das sind schöne Aussichten.