Dieses Album auf LP und mehr von Joe Lovano finden Sie in unserem JazzEcho-Store.
Aufbauend auf den lyrischen Stärken des Vorgängeralbums “Arctic Riff” (2020), erforscht das Quartett auf “Homage” auch jene Art des frei fließenden Zusammenspiels und der ausgedehnten Improvisationspassagen, die schon seit geraumer Zeit ein Markenzeichen von Lovanos Trio Tapestry und anderen Bands des Saxofonisten sind. Das Album wurde im Spätherbst 2023 während einer Session im legendären Van Gelder Studio in Englewood Cliffs in New Jersey aufgenommen. Das Quartett befand sich zu diesem Zeitpunkt gerade mitten in einem einwöchigen Gastspiel im New Yorker Village Vanguard. “Die Musik entfaltete sich während dieser Woche jeden Abend auf eine ganz besondere Weise”, erinnert sich Lovano. “Als wir dann ins Studio gingen, konnten wir in fünf Stunden eine außergewöhnlich konzentrierte Momentaufnahme einfangen.” Dies spiegelt sich in den fließenden Strukturen der Musik des Albums wider, die erst während des Spielens entwickelt wurden. Geprägt war die Session zudem von einem seltenen Sinn für Expressivität und spirituelle Affinität.
Das Fundament des Albums bilden zwei raumgreifende, jeweils über zehn Minuten lange Kompositionen und das Titelstück “Homage” – allesamt Originale aus Lovanos Feder. Die Musiker zeigen sich hier besonders experimentierfreudig, wobei Joe Lovano sein Tenorsaxofon und seine Tárogató häufig gegen eine Vielzahl von Perkussionsinstrumenten eintauscht. “Nur eine Handvoll Gongs und ein paar leichte Perkussionsklänge”, bemerkt Lovano. “Es ist so schön, mit Michael am Schlagzeug zu kommunizieren – im Studio war es, als wären wir eins!”
Den Funken im Studio wieder zu entfachen, fiel dem Quartett leicht, da die Musiker seit der Veröffentlichung des ersten Albums ausgiebig zusammen auf Tournee gewesen waren. “Wir hatten von Anfang an einen guten Draht zu Joe”, erinnern sich die Musiker des Trios. “Alles ergab sich ganz natürlich. Er ist der Typ Musiker, der sich kopfüber in die Musik stürzt und einfach zu allem, was er hört, mitspielt. Und das passt zu unserer eigenen Herangehensweise an die Musik. Die gemeinsamen Tourneen haben diese Verbindung über die Jahre nur noch verstärkt – auf und abseits der Bühne. Seine Offenheit und Spontaneität ermöglichen einen echten musikalischen Dialog.”
Das Titelstück des Albums, “Homage”, hatte Joe Lovano eigens für das ECM-Fest geschrieben, das im September 2023 in der Hamburger Elbphilharmonie stattfand. Manfred Eicher feierte damals seinen 80. Geburtstag an der Seite von Größen wie Dave Holland, Anouar Brahem, Ralph Towner, Norma Winstone und vielen anderen. Lovano führte seine Komposition dort im Quartett mit dem Trompeter Avishai Cohen, dem Pianisten Tigran Hamasyan und dem Schlagzeuger Nasheet Waits auf (zum Abschluss des ereignisreichen Abends stand er übrigens noch einmal mit dem Marcin Wasilewski Trio auf der Bühne). “Das Stück ist Manfred und der Geschichte des Labels gewidmet”, erklärt der Saxofonist. “Ich bin mit ECM-Alben aufgewachsen. Auf diesen Aufnahmen waren die Musiker zu hören, mit denen ich spielen wollte. Und es stellte sich heraus, dass dies die Musik war, die mir viel Orientierung gab.” Beim Schreiben des Stücks verwendete Lovano “keine Noten – nur Gefühle, die in einer Abfolge von Ereignissen notiert wurden”. Die Spielweise von Lovano und Marcin Wasilewskis Trio ist nicht streng tonal angelegt. Die Musiker wechseln im Verlauf des Stückes immer wieder die Tonart, alternieren dabei auch zwischen Puls und Rhythmus. Hier zeigt sich auch Lovanos tiefe Verbundenheit mit der Musik des Dirigenten und Third-Stream-Komponisten Gunther Schuller und damit auch mit der Musik von Jimmy Giuffre und George Russell.
“Golden Horn”, eines der beiden längeren Stücke, ist eine modale Meditation, in der die Gezeiten zwischen den Musikern sanft wechseln. Miskiewicz’ Puls ist auf elegante Weise kompromisslos, während er und Kurkiewicz am Bass einen gleichmäßigen Hintergrund für die kühnen Erkundungen von Wasilewski und Lovano schaffen. Das Zusammenspiel erinnert daran, wie das Trio klang, als es in den frühen 2000er Jahren den großen, 2018 verstorbenen Trompeter Tomasz Stańko auf dessen ECM-Alben begleitete (erst im vergangenen Jahr erschien mit “September Night” eine archivierten Live-Aufnahme des Quartetts aus dem Jahr 2004).
Noch mehr Spontaneität und Freiheit zeichnet das zwölfminütige Stück “This Side – Catville” aus, in dem sich das Quartett unbekümmert durch swingende Takte und wiederum modale Harmoniewechsel bewegt. Es ist ein Musterbeispiel für das ausgeprägte Gespür, das jeder einzelne der vier Musiker für ein reaktionsschnelles Zusammenspiel hat. Wasilewskis fliegende Finger bewegen sich über die Tasten sich wie Wellen im Wasser, und sein sanftes Spiel bildet einen wirkungsvollen Kontrast zu Lovanos scharf überblasenen, melodisch vertrackten Einwürfen. “Wir lieben es wirklich, Joes spontanem, freiem Spiel zu folgen”, sagt Marcin stellvertretend für seine Trio-Kollegen. “Aber gleichzeitig ist er immer in der Tradition verwurzelt. In letzter Zeit haben wir immer stärker versucht, diese beiden Elemente auch in unserer eigenen Musik zu verbinden.”
In ihrer ergreifenden Interpretation von “Love In The Garden”, einer Komposition des polnischen Geigers Zbigniew Seifert (1946–1979), schmückt die Band die stimmungsvolle Ballade mit fließenden Harmonien aus, die in einen Rubato-Puls gehüllt sind. “Es war eine spontane Entscheidung, dieses Stück zu spielen”, sagt Marcin. “Es gab keine Diskussion darüber, wie oder was wir spielen würden. Wir fingen einfach an, und die Musik entwickelte sich ganz natürlich.” Es ist eine überraschende und geschmackvolle Interpretation dieses Originals aus den 70er Jahren. “Es geht darum, etwas nicht so zu spielen, wie es aussieht, sondern zu versuchen, es während des Spielens zu erschaffen”, merkt Joe an. “Und Balladen zu spielen, das ist wirklich das Herz und die Seele der Musik.”
Improvisierte Miniaturen runden ein Programm ab, das beweist, dass Wasilewski und seine Trio-Kollegen Lovanos eigenwillige musikalische Gedankengänge ideal ergänzen. Dass zwischen diesen Musikern eine erstaunliche Chemie herrscht, wird auf “Homage” deutlicher denn je.