Die Wiener Philharmoniker haben mit ihrem Friedenskonzert in Versailles ein Zeichen der Versöhnung gesetzt. 100 Jahre nach Beendigung des Ersten Weltkrieges, der unermessliches Leid über die Menschheit brachte, trat das Traditionsorchester im November 2018 unter großer internationaler Anteilnahme mit einem ambitionierten Programm in der Königlichen Oper des Schlosses von Versailles auf. In der französischen Garnisonsstadt war ein Jahr nach Beendigung der Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges ein Friedensvertrag ausgehandelt worden. Im Zuge dessen gründete sich auch der Völkerbund, der zu den Wurzeln der später gegründeten Vereinten Nationen zählt.
Der österreichische Meisterdirigent Franz Welser-Möst kuratierte aus Anlass dieses hundertjährigen Gedenkens eine faszinierende Auswahl von Kompositionen, die allesamt mit dem Thema Krieg und Frieden in Verbindung gebracht werden können. Unter den Leitbegriffen “Prolog, Zerstörung, Hoffnung, Kontemplation” versammelte er Werke von Mozart, Beethoven, Wagner, Ravel, Debussy, Gustav Holst, Ralph Vaughan Williams und Charles Ives und präsentierte sie mit einer künstlerisch hochkarätig besetzten Riege international anerkannter Solistinnen und Solisten.
Jetzt ist der Live-Mitschnitt des einzigartigen Konzertereignisses erschienen. Das Album ist ein ergreifendes Zeugnis für einen besonderen historischen Moment. Durchgängig spürt man eine ernsthafte Spannung der Musizierenden. Sie dürfte nicht allein darin gründen, dass die Künstlerinnen und Künstler das Ende des Ersten Weltkrieges erinnern, sondern auch darin, dass Europa und der Welt neue Zwietracht drohen. Dadurch bekommt die Friedensbotschaft der Wiener Philharmoniker eine dringliche Note. Das Problem der Gewalt ist nicht gelöst, kann vielleicht auch gar nicht endgültig gelöst werden. Es bleiben Fragen. Nicht zufällig beendeten die Wiener Philharmoniker ihr Konzert mit einer nachdenklich stimmenden Darbietung von Charles Ives' meditativ fließendem, musikalisch weit in die Zukunft vorausweisendem Schlüsselwerk “The Unanswered Question” (1908).
In musikalischer Hinsicht beweist das Konzeptalbum, wie reizvoll es ist, klassisches Repertoire unter einem bestimmten Gesichtspunkt zu ordnen. Mozarts Ouvertüre zur Zauberflöte und Debussys Sirenen aus den “Trois Nocturnes” hört man sonst nie in einem Atemzug. Aber durch die besondere Stimmung des Live-Mitschnitts und dank der inspirierenden Überlegungen, die Friedemann Pestel im Booklet des Albums über das Thema “Musik und Krieg” anstellt, bilden sie doch eine sinnvolle Einheit.
Den emotionalen Höhepunkt der Aufführung bildete Ravels Klavierkonzert für die Linke Hand. Dieses Werk steht wie kaum ein anderes für eine musikalisch einfühlsame Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg. Der französische Impressionist schrieb das besagte Konzert im Auftrag des österreichischen Pianisten Paul Wittgenstein, der im Ersten Weltkrieg seinen rechten Arm verloren hatte, danach jedoch ebenso energisch wie heroisch an seiner Laufbahn als Klaviervirtuose festhielt. Nach seiner schweren Verletzung konnte der Bruder des großen Philosophen Ludwig Wittgenstein nur noch mit der linken Hand spielen, was er dann auch unermüdlich tat. Die chinesische Starpianistin Yuja Wang zeigte sich in allen Belangen auf der Höhe der virtuosen und poetischen Anforderungen des mitreißenden Klavierkonzerts. Sie verlieh ihrer Interpretation ebenso viel Schwung wie intellektuelle Tiefe.