Manchmal bedeuten Absagen auch einen Chance. Als vor zwei Jahren Martha Argerich für ein Konzert in Boston kurzfristig nicht erscheinen konnte, übernahm Yuja Wang den Termin und riss Publikum und Kritik zu Beifallsstürmen hin. Nicht dass sie das nicht bereits gewohnt gewesen wäre, denn seit Kindertagen tummelt sich die chinesisch-amerikanische Pianistin bereits auf zahlreichen Wettbewerben und ist es gewohnt, sie auch zu gewinnen. Konzerte wie in Boston jedoch brachten sie einem ihrer Kindheitsträume näher, der Idee, eines Tages unter dem Dach der Deutschen Grammophon selbst Musik zu präsentieren.
Und nun, da es endlich soweit ist, stellt sie sich mit einem Programm aus Werken von Chopin, Liszt, Scriabin und Ligeti vor, das viele Klassikfreunde aufhorchen lassen wird. Denn es gehört zum Spektakulärsten, was dieser Musiksommer zu bieten hat. Nicht umsonst kürte die Münchner Abendzeitung Yuja Wang bereits zum „weiblichen Gegenstück von Lang Lang“. Die Online-Seite klassikinfo.de bemerkte zu ihrem Konzert am vergangenen Wochenende, es sei eine „beeindruckende Kostprobe eines außergewöhnlichen Talents, und die viel versprechende Zukunft Yuja Wangs wird zweifellos noch viel Anlass zum Staunen bieten.“ Und beim Netz-Auftritt des Magazins Fonoforum kann man lesen, das Album-Debüt präsentiere “eine brillante Pianistin, die den Ansprüchen des pianistischen Virtuosenfutters gewachsen ist“. Viel Lob bereits für eine Künstlerin, die bereits früh ihren musikalischen Weg begann.
Als Yuja Wang sieben Jahre alt war, reichten die häuslichen Unterrichtsstunden nicht mehr aus, um das immens begabte Mädchen angemessen zu fördern. Damals begann die Tochter einer Tänzerin und eines Schlagzeugers, nachmittags nach der Schule das Konservatorium ihrer Heimatstadt Peking zu besuchen, um mehr über Chopin und Liszt, Beethoven und Tchaikovsky zu erfahren. Doch auch das sollte nicht lange vorhalten. Mit 14 Jahren machte sie sich auf den Weg nach Kanada, um in Calgary am Konservatorium des Mount Royal College ihre Kompetenzen weiter zu vertiefen. Der Unterschied der kulturellen Systeme war vom ersten Tag an spürbar: „Es ist eine ganz andere Kultur der musikalischen Ausbildung“, erinnert sich die heute 22-jährige Künstlerin an die Zeit ihres persönlichen Umbruchs. „In China war ich völlig sicher: Wenn ich genau das tat, was mein Lehrer mir vorschrieb, würde ich gut sein. Aber in Kanada und den USA sagte mir keiner mehr, was ich tun sollte“.
Für eine Künstlerin vom Schlage Yuja Wangs jedoch bedeutete das vor allem eine Chance, über sich hinaus zu wachsen. Von Calgary zog sie bald weiter nach Philadelphia an das Curtis Institute Of Music und schrieb sich bei Gary Graffman ein, der bereits als Pädagoge den Weltstar Lang Lang auf den richtigen Weg geführt hatte. Im vergangenen Jahr schloss sie ihre Ausbildung ab und gehörte schon zu den wichtigsten Newcomern der internationalen Klavierszene. In Europa konnte man Yuja Wang erstmals 2003 in der Züricher Tonhalle auf der Bühne erleben, in Amerika gab sie ihren Einstand in der Saison 2005/6, als sie in Ottawa für den etablierten Kollegen Radu Lupu einsprang. Schritt für Schritt bewegte sie sich damit in die erste Liga ihrer Zunft und landete schließlich da, wo sie sich sah, seitdem sie ihre allererste CD mit Chopin-Werke von Maurizio Pollini gehört hatte, im Künstlerstamm der Deutschen Grammophon.
Yuja Wangs internationales Debüt heißt „Sonatas & Etudes“ und bietet einen umfassenden Streifzug durch die hohe Kunst des virtuosen Spiels, von den Höhepunkten der Romantik in Form von Sonaten von Chopin und Liszt bis weit hinein ins 20.Jahrhudnert mit Scriabin und Ligeti: „Ich wollte auch die Verbindung von Chopin und Scriabin aufzeigen“, meint sie selbst über die ungewöhnliche Auswahl. „Ich mag Scriabins frühe Werke. Seine ‘Sonate Nr.2’ wirkt irgendwie improvisatorisch. Sie ist wie eine Fantasiewelt. Die Liszt-Sonate ist keine Fantasie. Sie ist Himmel oder Hölle. Wie das reale Leben. Und als Kontrast zu Chopin und diesen großen romantischen Werken habe ich die funkelnden Stücke von Ligeti gewählt.“ Aufgenommen wurde das Programm im vergangenen November in der Hamburger Friedrich-Ebert Halle und es präsentiert eine bereits in ihren jungen Jahren derart vollkommen spielende Künstler, dass man sich fragt, wie sie sich denn noch steigern könnte. Yuja Wang ist in dieser Hinsicht jedoch weitaus bescheidener als die Elogen ihrer Kritiker und meint: „Ich versuche, meine eigene Stimme zu finden. Ich glaube, das ist in der heutigen Welt unbedingt nötig. Im Moment geht es mir darum, mich einfach darauf einzulassen, was auch mich zukommt, und es mit meiner Musik auszudrücken“.
Mehr Informationen zu Yuja Wang unter www.yuja-wang.de