Modernes Sounddesign ist etwas Wunderbares. Doch es ist nicht alles. Denn die künstlerische Qualität einer Interpretation hält sich nicht an die zeitlichen Abläufe der Hifi-Entwicklung. Viele wegweisende Aufnahmen entstanden vor der Markteinführung des Stereoeffekts, selbst vor der Langspielplatte. Und so mögen manche Mono-Archivalien der Original Masters Serie in Punkto Klangentfaltung ein wenig archaisch wirken. Umso mehr berühren sie durch die Kraft des Spiels.
In den Archiven schlummern die Juwelen der Musikgeschichte. Die Spezialisten wissen das seit langem und sind daher auf der Suche nach den legendären Aufnahmen großer Künstler, die zum Teil auf Schellack und Vinyl noch auf Flohmärkten herumgereicht werden. Allerdings ist das Angebot dort zwangsläufig lückenhaft und mit viel Glück verbunden. Die Universal hat sich daher entschlossen, besondere Schätze aus der Frühzeit der Musikaufzeichnung nun in einer sorgfältig edierten und tontechnisch sinnvoll aufbereiteten Serie von Künstlerboxen wieder zugänglich zu machen. In limitierter Auflage zu besonderem Preis erscheinen beispielsweise die frühen Solti-Aufnahmen, die er als Pianist und Dirigent zwischen 1947 und 1953 für die Decca gemacht hat (4 CDs), ebenso Wilhelm Furtwänglers Live-Aufnahmen von 1944 bis 1953 (6 CDs), die kompletten Grammophon-Bänder des Janacek Quartetts (7 CDs), Eugen Jochums Beethoven-Zyklus (5 CDs) oder auch Hans Hotters Lieder und Opern-Arien von 1942 bis 1973 (3 CDs). Allen Boxen gemeinsam ist die ansprechende optische Gestaltung und natürlich der faszinierende künstlerische Gehalt, der auch vergessene Maestros ihres Fachs zu neuen Ehren verhilft.
Wilhelm Kempff (1895–1991) zum Beispiel war eine der überragenden Musikergestalten des modernen Klavierspiels. Sein emotionaler, zuweilen romantisch durchdrungener Zugang zur eigenen Interpretationsstilistik machte ihm jedoch nicht nur Freunde. Vor allem in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, als die neue Sachlichkeit der verordnete Notentreue kaum noch Spielräume für persönliche Akzentuieren zu lassen schien, brachte Kempff immer wieder eine emotionale Dimension ins Spiel. “Sie haben nicht wie ein Pianist gespielt, sondern wie ein Mensch”, meinte der greise Sibelius, als er ihm 1957 bei einem Besuch Beethovens “Hammerklaviersonate” vortrug. Der finnische Komponist traf damit der Kern von Kempffs künstlerischer Selbstvorstellung. Das merkt man auch den Versionen der beiden Mozart-Klavierkonzerte K271 und K450, ebenso Brahms, Schumann, Liszt an, die neben Beethovens Klavierkonzerten auf der Original Masters-Sammlung zu hören und zwischen 1953 und 1957 entstanden sind. Hier hält einer die Waage zwischen Perfektion und Emotion, notwendiger Distanz und individueller Einfühlung. Schon aus diesem Grund zählt Kempff mehr denn je zu den großen Meistern seines Instruments.
Eduard van Beinum (1900–1959) wiederum kennt heute kaum jemand. Dabei war der Dirigent aus dem holländischen Arnheim maßgeblich daran beteiligt, dass etwa Bela Bártoks “Konzert für Orchester” oder auch die Werke seiner Landsleute Willem Pijper und Alphons Diepenbrock einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurden. Als langjähriger Dirigent des Concertgebouw Orchestra und Gast des London Philharmonic Orchestra bannte er bis zu seiner Krankheit in den spätern Fünfzigern immer neue Klangpretiosen auf die Bänder der Decca, vor allem französisches und holländisches Repertoires des 19. und 20. Jahrhunderts, aber auch Klassiker von Beethoven bis Rossini. Dementsprechend vielschichtig ist auch die 5CD-Box der Original Masters geraten, die von Beethoven über Brahms und Berlioz bis hin zu Rossini und Edouard Lalo reicht. Eine ungewöhnliche Sammlung eines herausragenden Dirigenten, der die Musik aus sich heraus, nicht der Person des Pultstars untergeordnet wirken ließ.