Die Musikerkarriere des großen Pianisten Wilhelm Kempff dauerte sage und schreibe 60 Jahre. Namentlich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte er wie kaum ein anderer Pianist das europäische Konzertleben.
Dass der 1895 in Jüterbog geborene Kempff einmal zu den ganz großen Pianisten-Legenden gezählt werden würde, war ihm zwar nicht direkt in Wiege gelegt, gleichwohl vollzog sich sein Werdegang nur folgerichtig auf der Grundlage eines soliden Fundaments: einer alten Organistenfamilie entstammend, erfuhr er bereits im Kindesalter die Größe und die Kraft der Musik Johann Sebastian Bachs.
Seine musikalische Entwicklung nur einfach “zielstrebig” zu nennen, trifft es nicht ganz. Sie verlief geradezu rasant und hinterließ bereits in den frühen Jahren immer wieder ungläubiges Staunen, ob der technischen Fähigkeiten und der musikalische Reife des jungen Mannes. Und so offen, wie er sie nach außen präsentierte, so sehr lernte er auch, nach innen zu horchen und zugleich dem Geist des Instruments nachzuspüren und dabei seinen ganz persönlichen Klavierstil zu entwickeln. Es ist eben jener Stil, der ihn berühmt machte, geprägt von jener “Zärtlichkeit für das Instrument”.
Stand Bach ganz am Anfang, so blieb doch Beethoven zeitlebens sein Begleiter. Typisch für Wilhelm Kempff, war auch wie er darüber spricht: “Manchen von diesen Kritikussen habe ich oft geantwortet: ‘Mein Herr, ich stamme ja von Beethoven ab.’ ‘Das ist ja nicht möglich’, sagte der. ‘Beethoven war ja nicht verheiratet, wie können Sie abstammen von ihm?’ Und ich sagte: ‘Mein Lehrer war Heinrich Barth, der war Schüler von Hans von Bülow, der wiederum war der Schüler von Franz Liszt und der war der Schüler von Czerny. Und Czerny war Schüler von Beethoven.’” Natürlich erzählte Kempff das mit einem Augenzwinkern. Wie sehr er sich Beethoven gleichwohl verbunden fühlte, wie nahe er ihm war, das zeigen nicht zuletzt seine Aufnahmen der Klaviersonaten Beethovens – die ersten entstanden während bereits des Krieges, in den Jahren 1940 −43, noch als Schallplatten in 78er Geschwindigkeit. Den kompletten Zyklus spielte er zum ersten Mal in den Jahren 1951–56 ein. Deutsche Grammophone veröffentlichte 2019 die überarbeiteten Aufnahmen des zweiten kompletten Sonatenzyklus', entstanden im Beethovensaal der Stadt Hannover in den Jahren 1964–65.
Auch für seine Einspielungen von Schuberts Werken wurde er von der Kritik gelobt: “Komplette Zyklen der Schubert-Sonaten sind selten, aber eine solche Kunstfertigkeit ist noch seltener”, befand das BBC MUSIC MAGAZINE anlässlich der Kempff’schen Einspielung des gesamten Sonatenzyklus' aus der zweiten Hälfte der 1960er Jahre. “Kombiniert mit einer Subtilität, die so reich und raffiniert ist, dass sie manchmal fast ablenkt, ist seine (Kempffs) Fähigkeit zu höchster Einfachheit, die nur ein Markenzeichen der größten Künstler ist.”
Das, wovon hier die Rede ist, lässt sich wunderbar nachvollziehen anhand der gerade erst erschienenen repräsentativen 80-CD-Box mit dem pianistischen Gesamtwerk Wilhelm Kempffs. Sie offenbart nicht nur seine Meisterschaft, sondern zugleich auch die Vielseitigkeit des einzigartigen Pianisten.
Am 25. November wäre Wilhelm Kempff 125 Jahre alt geworden.