Es war Herbert von Karajans zweiter Opernfilm, aber der erste, den er auch selbst inszenierte und als Regisseur umsetzte. Denn nach “La Bohème” unter der filmischen Ägide von Franco Zeffirelli war “Carmen” die Kameraversion der Aufführung der Salzburger Festspiele von 1967. Es war eine zunächst umstrittene, dann nach einigen Änderungen umjubelte Inszenierung, die vor allem durch die wunderbare Grace Bumbry bestach, die zu diesem Zeitpunkt sich auf dem Zenith ihrer jugendlichen Gesangs- und Darstellungskunst befand.
George Bizets (1838–75) “Carmen” war in mancher Hinsicht visionär und stellte Fragen, die zu ihrer Zeit durchaus ungewöhnlich waren. Da war zunächst der Stoff, der eine Zigeunerin und einen zum Verbrecher aus Leidenschaft herabgesunkenen Aristokraten in den Mittelpunkt stellte. War der untreue Adelige im Rahmen der Opéra Comique durchaus geläufig, galt das Milieu der Titelrolle als problematisch. Die Outlaws der bürgerlichen Gesellschaft waren bis zu diesem Zeitpunkt gelegentlich als Kolorit, aber nicht als Mittelpunkt einer Oper geduldet. Für Bizet jedoch bestand gerade darin der besondere Reiz. Denn mit Carmen konnte er nicht nur sinnliche, freiheitliche und leidenschaftliche Elemente in die Handlung einbeziehen, sondern sich darüber hinaus auch plausibel mit dem klanglichen Reiz der so genannten Zigeunermusik beschäftigen, die im Kern allerdings kreolische Wurzeln hatte. Da er mit den Librettisten Henri Meilhac und Ludivoc Halévy über ein ausgezeichnetes, unterhaltungserprobtes Team verfügte – sie waren unter anderem auch erfolgreich für Offenbach tätig -, entwickelte die Umarbeitung der gleichnamigen Novelle von Prosper Mérimée erfrischend unmittelbare Qualitäten. So kam es, dass “Carmen” nach den anfänglichen Problemen der misslungenen Premiere sich schnell zu einer der meist gespielten Opern des Repertoires entwickelte. Die melodramatische Handlung, die Häufung großartiger, pathetischer Ohrwürmer, überhaupt die Lebendigkeit und Stringenz der Handlung lässt sie bis heute ganz oben auf der Popularitätsliste der Schauspielhäuser rangieren.
Karajan wiederum veränderte wenig am Kolorit der Oper. Zwar fügte er zu Beginn des zweiten Aktes einen Ausschnitt aus der Schauspielmusik zu “L’Arlésienne” ein, ansonsten aber hielt er sich an die Vorgaben des Originals und inszenierte den Film als Bühnenschauspiel. Dabei vertraute er vor allem auf die Wirkung seiner Hauptdarsteller. Denn Grace Bumbry war eine Carmen, die tatsächlich den Männern den Kopf verdrehen konnte. Wenn sie bei der Habanera von den Wirrungen der Liebe sang, dann glaubte man den Verehrern sofort, dass sie ihr folgen würden. Jon Vickers als unglückseliger Don José hingegen war eine durchpsychologisierte Gestalt, die es schaffte, glaubhaft vom spröden Muttersöhnchen zum Mörder aus Leidenschaft zu mutieren. Mirella Freni wiederum war eine niedlich mit blondem Zopf und blauem Kleidchen der Originalbühnenanweisung nachempfundene Micaela und Justino Diaz ein Torrero wie aus dem Stierkampfbilderbuch. So kann sich die Geschichte vor der Kamera entwickeln, die die einzelnen Ereignisse näher an den Zuschauer heranbringt, ohne den theatralischen Gestus zu verlieren, so wie auch Karajans Zwischenspiele mit Orchester die Stimmungen der Oper beibehalten. So ist die DVD mit dem “Carmen”-Film von 1967 ein reizvolles Dokument aus dem Historienschatz der Inszenierungsgeschichte, möglichst authentisch bühnenhaft und im stilvollen PCM Stereo oder 5.1 Surround-Sound ein Erlebnis für Auge und Ohr.