Hätte Ludwig van Beethoven im März 1819 nicht die Nachricht erreicht, dass Erzherzog Rudolph, sein Schüler, Freund und Gönner, zum Erzbischof von Olmütz in Moravia designiert sei – vielleicht wäre die “Missa Solemnis” in D-Dur Op. 123 nie komponiert worden. Zwölf Jahre zuvor hatte Beethoven bereits eine Messe in C-Dur (Op. 86) als Auftragswerk für den Fürsten Niklaus Esterházy anlässlich des Namenstages von dessen Frau Maria komponiert. Mit der “Missa Solemnis” jedoch verhielt es sich anders. In einem Brief an den Erzherzog schrieb Beethoven kurz nach Erhalt der Nachricht: “… der Tag, wo ein Hochamt Von mir zu den Feyerlichkeiten für I.K.H. (Ihre Königligliche Hoheit) soll aufgeführt werden, wird für mich der schönste meines Lebens seyn.” Insgesamt vier Jahre hatte Beethoven an der “Missa Solemnis” gearbeitet und dabei eine intensive gedankliche Reise zur Erkenntnis über seine eigene Spiritualität unternommen. Die zurückliegenden Krisen und seine eigene gesundheitliche Situation waren ihm Anlass größerer Aufgeschlossenheit der Religion und dem Glauben gegenüber. Dass die Inthronisierung des Kardinals schließlich doch ohne die Messe stattfinden mußte, lag an dem langen Entstehungsprozess des Werkes, das Beethoven selbst für sein bedeutendstes hielt. Das erste Mal bekam das Wiener Publikum in Ausschnitten anlässlich einer großen Akademie von ihm zu hören, die Beethoven am 7. Mai 1824 im überfüllten Hoftheater am Kärntnertor veranstaltete. Nach der Ouvertüre Op. 124 “Die Weihe des Hauses” und vor der Uraufführung der Sinfonie Nr. 9 in d-Moll, Op. 125 erklangen drei Sätze aus der “Missa Solemnis”: Kyrie, Credo, Agnus Dei. Beethoven, zu jener Zeit bereits fast völlig ertaubt, nahm, wie der Konzertankündigung für diesen Abend zu entnehmen war, “an der Leitung des Ganzen Antheil”.
Es ist nicht nur eine der bedeutendsten Sakralkompositionen an der Schwelle zum 19. Jahrhundert – es ist zugleich eine der umfangreichsten und schwierigsten, sowohl für die Solisten als auch für den Chor. Schon der Beginn, das Kyrie, und erst recht das mit emotionaler Urgewalt ausbrechende Gloria des Chores mit und seine anschließende Fuge des Solistenquartetts vermitteln einen Eindruck von den unbedingten und kompromisslosen Anforderungen Beethovens an Sänger und Musiker – bis zum Schluss, dem Agnus Dei mit Soloquartett, Chorfuge und abschließendem Presto.
Im Februar 1966 ging Herbert von Karajan in die Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem, um dort die “Missa Solemnis” mit den Berliner Philharmonikern aufzunehmen. Eigens dafür ließ er den Wiener Singverein nach Berlin einfliegen. Die Zusammenarbeit Karajans mit dem handverlesenen Solistenquartett mit Gundula Janowitz, Christa Ludwig, Fritz Wunderlich und Walter Berry war, wie Gundula Janowitz sich erinnert, von tiefem Grundervertrauen erfüllt. Ihre Zusammenarbeit mit Herbert von Karajan hatte schon an der Wiener Staatsoper begonnen und sollte sich für die Sopranistin vor allem auf dem Konzertsektor als überaus nachhaltig erweisen. “Karajan war ein begnadeter Sängerbegleiter. Es setzte voraus, dass alle perfekt vorbereitet waren, und so war es oft gar nicht notwendig, so wie heute mehrere Takes aufzunehmen. Karajan hatte Vertrauen in uns – und wir haben ihm vertraut. Er dirigierte diese großen Werke ja ohne Stab und er hat nur mit seinem Schlag, mit ganz kleinen Bewegungen und seiner Aura somnambulisch aus uns herausgelockt, was er hören wollte.”
Kaum verwunderlich, dass diese Aufnahme zu den 25 Kultalben der Deutschen Grammophon gehört, die jetzt remastered wiederveröffentlicht wird. Das lesenswerte Booklet enthält die notierten Erinnerungen von Gundula Janowitz über diese Aufnahme.
Allen Vinylfreunden übrigens sei dies an den Spiegel geheftet: Nach einem sehr erfolgreichen Relaunch auf Vinyl im Jahr 2015 und einer Super Deluxe Vinyl Edition mit Kunstwerken von Gregor Hildebrandt im Jahr 2018 wird Karajans legendärer Beethoven-Symphoniezyklus von 1963 nun in einem neuen Zyklus verfügbar sein, präsentiert auf 180g Pressungen.