Die Geschichte der klassischen Musik ist immer auch eine Geschichte der Missverständnisse. Nachdem Giuseppe Verdi 1874 sein Requiem zu Ehren des National-Dichters Alessandro Manzoni uraufgeführt hatte, bemerkte der Dirigent Hans von Bülow süffisant: “Verstohlene Einblicke in die neueste Offenbarung des Componisten von ‘Trovatore’ und ‘Traviata’ haben uns nicht eben lüstern nach dem Genusses dieses ‘Festivals’ gemacht, obwohl wir dem Maestro das Zeugniß nicht versagen können, daß er sich’s diesmal hat weidlich sauer werden lassen”.
Die Empörung in Fachkreisen über so ein Urteil war immens. Sogar Johannes Brahms nahm dazu Stellung und tadelte den hochmütigen Pultstar: “Bülow hat sich unsterblich blamirt, so etwas kann nur ein Genie schreiben”. Übrigens erkannte der Dirigent es einige Jahre später selbst und entschuldigte sich reumütig bei Verdi, dem wiederum die devote Verbeugung so unangenehm war, dass er an den Flagellanten schrieb: “Wenn Ihre Äußerungen früher andere waren als heute, dann haben Sie sehr gut daran getan, die zu äußern; ich hätte nie gewagt, mich darüber zu beschweren. Im übrigen, wer weiß, vielleicht habe Sie ja recht gehabt, damals.” So war die Messa da Requiem von Anfang an in der Diskussion. Ursprünglich in Bruchstücken entstanden im Gedenken an Rossini, dann vollendet nach dem Tod des Dichters Alessandro Manzoni wurde sie 1874 in Mailand in der Kirche San Marco uraufgeführt und kurz darauf an der Scala mehrfach gespielt.
Situiert zwischen Glauben und Pathos wagte sich der erklärte Agnostiker Verdi damit auf das schwierige Terrain geistlich geprägter Musik vor, das ihn in den späten Lebensjahren immer intensiver beschäftigen sollte. Die Messa da Requiem ist daher ein künstlerisches Konzentrat seiner bisherigen und die Vision seiner folgenden Werke. So sah es auch ein weitere wichtiger Kritiker der damaligen Zeit, Eduard Hanslick, der 1875 eine Aufführung des liturgischen Epos über die letzten Tage in der Wiener Hofoper erlebte: “Trauer und Bitte, Entsetzen und hoffende Zuversicht, sie sprechen hier eine leidenschaftlichere und individuellere Sprache, als wir sie in der Kirche zu hören gewohnt sind. Auch die religiöse Andacht wechselt in ihrem Ausdruck; sie hat ihre Länder, ihre Zeiten. Was uns in Verdi’s Requiem zu leidenschaftlich, zu sinnlich erscheinen mag, ist eben aus der Gefühlswelt seines Volkes heraus empfunden, und der Italiener hat doch ein gutes Recht, zu fragen, ob er denn mit dem lieben Gott nicht italienisch sprechen dürfe?”
So entwickelte sich das opulente Werk im Laufe der Jahre vom nationaleuphorischen Nachruf zu einem der großen Konzertereignisse, das man nur selten in seiner vollendeten Form genießen kann. Allein die Ausmaße von Chor und Orchester beschränken die Möglichkeiten der Aufführung, und so lag es nahe, eine der prominentesten Konzerte der Messa da Requiem mit der Kamera zu begleiten. Denn im Januar 1967, zum zehnjährigen Todestag des Dirigenten Arturo Toscanini, fand sich in dessen langjährigem Stammhaus ein Defilee der Berühmtheiten ein, das eine historische Interpretation erwarten ließ.
Am Pult erschien Herbert von Karajan, der das Orchestra del Teatro alla Scala und den gewaltigen Chor des Hauses leitete. Als Solisten standen ihm vier der profiliertesten Künstler seiner Zeit zur Verfügung: die amerikanische Sopranistin Leontyne Price, ihre italienische Mezzo-Kollegin Fiorenza Cossotto, der junge Tenor Luciano Pavarotti – übrigens noch ohne Bart! – und der Bass Nicolai Ghiaurov.
Gefilmt wurde das Spektakel durch das Opern-erfahrene Produktionsteam der Münchner Firma Unitel, das der an sich statischen Aufführung durch elegante Kameraführung und Schnittfolge zusätzlich Tempo verlieh. So kann man den Maestro nicht nur live in seiner ersten Farbfilmaufnahme überhaupt bei der Arbeit erleben, sondern darüber hinaus die Messa da Requiem in hervorragendem, remastertem DTS 5.1-Surround Sound oder wahlweise PCM Stereo erleben. Ein ergreifendes Werk in kongenialer Umsetzung.