Niemand konnte wissen, dass es tatsächlich das letzte Konzert sein sollte, das Vladimir Horowitz (1904 bis 1989) in der Öffentlichkeit geben würde. Am 21. Juni 1987 jedenfalls war der umschwärmte Meister der Goldenen Ära des Klavierspiels im Rahmen seiner Abschiedstournee in der Hamburger Laeiszhalle zu Gast. Der Norddeutsche Rundfunk zeichnete den Abend auf und verwahrte die Bänder 20 Jahre lang in seinem Archiv. Nun endlich, im 100. Jahr des Bestehens der Hamburger Konzerthalle, wurden die Aufnahmen wieder hervorgeholt und sind als Vermächtnis eines Genius' eine kleine Sensation dieses Klassiksommers.
Für die Juni-Ausgabe des Magazins KulturSpiegel fand der Musikjournalist Johannes Saltzwedel bereits die passenden Worte: “Der Altmeister war, anders als etwa vorher in Berlin, gut in Form. Schon das Eingangsstück, Mozarts Rondo K 485, wurde dank subtil gedämpfter Vorschlagnoten und artiger Launenwechsel zum Kabinettstück, ähnlich wie vor der Pause Liszts ‘Soirées de Vienne’; dazwischen gelang Mozarts B-Dur-Sonate K 333 inniger als vorher im Studio. Schumanns ‘Kinderszenen’, einen seiner Paradezyklen, tauchte Horowitz ins milde Licht der Weisheit; mit einer Chopin-Mazurka im schwebenden Piano und der legendär herben As-Dur-Polonaise (trotz kleiner Fehler hier geradezu eine Etüde über die Möglichkeit des Klavierspielens selbst) endete der offizielle Teil. Mit einem ‘Moment musical’ von Schubert und der hinreißenden Piano-Akrobatik von Moszkowskis ‘Feuerfunken’ verabschiedete der 83-Jährige dann sein Publikum”. Und damit unterscheidet sich das Urteil eines Kritikers der Gegenwart kaum von dem seiner Vorgänger, die damals noch selbst in der Laeiszhalle gesessen hatten. So schrieb die Süddeutsche Zeitung damals: “Auch im hohen Alter kann Horowitz auf dem Klavier singen wie kaum ein anderer, kann er überwältigende Klangfülle herstellen und zugleich versteckten Nebenstimmen liebevoll Aufmerksamkeit schenken”.
Horowitz nahm diesen Auftritt durchaus nicht so leicht, wie ihm zuweilen nachgesagt wurde. Im Gegenteil, der Künstler fieberte auch im hohen Alter den Konzerten entgegen, konzentriert bis hin zu den kleinen Details. Dem Biographen Harold C. Schonberg erzählte er einmal: “Die Tragödie des Künstlers ist wie in ‘Pagliacci’. Man muss zu einer ganz bestimmten Zeit inspiriert sein, spielen wollen und in Form sein. Vielleicht habe ich ja um vier – gerade um vier – zufällig Magenschmerzen. Ich versuche also, sehr ruhig zu sein. Niemand darf mich stören, und wenn mich einer stört, bekommt er Ärger, wie er ihn noch nie erlebt hat”. Der Abend in Hamburg jedenfalls war einer der Glücksfälle, bei dem die Inspiration dem Künstler zuflog. In der Stadt, in der der junge Pianist aus Kiew einst 1926 seine internationale Karriere begann, spielte er nun ein Konzert mit Mozart und Liszt, Schumann und Chopin. Und er schaffte es mit großartiger Finesse, ein in sich geschlossenes Kunstwerk zu gestalten, das vom tändelnden Mozart bis zum wuchtigen Chopin, ja bis hin zu den fragilen Zugaben von Schubert und Moszkowski die Menschen im Saal mit auf eine Reise in die Welt der Darstellungskultur nahm. Was für ein Glück, dass die Techniker des Norddeutschen Rundfunks mit von der Partie waren und daher nun ein Kabinettstück der musikalischen Schönheit endlich auf CD präsentiert werden kann.