Es ist ein schwieriger Stoff und Tschaikowski musste sich dazu durchringen, die einmal begonnene Arbeit auch zu beenden. Denn so reizvoll die Geschichte um den verräterischen Kosakenführer Mazeppa zunächst erschienen war, so kompliziert erwies sich die Umsetzung des Librettos auf die Bühne. Schließlich schaffte er es doch, die Oper zu vollenden und 1884 beinahe zeitlich in Moskau und St. Petersburg zur Uraufführung zu bringen. Sie wurde sogar ein Erfolg beim Publikum, gehört aber noch immer zu den selten gespielten Werken des Komponisten.
Vielleicht liegt es daran, dass die Ursprünge von “Mazeppa” in der russischen Geschichte begründet liegen. Als der Lyriker und Journalist Viktor Burenin Ende der 1870er Jahre den Auftrag erhalten hatte, ursprünglich für den Komponisten und Direktor des Petersburger Konservatoriums Karl Davidoff aus der Mazeppa-Legende ein Libretto zu schaffen, musste er sich mit einer Reihe historischer Überlieferungen auseinandersetzen. Da war zunächst der wirklich Mazeppa. Er wurde um 1640 als Sohn eines Landadeligen in der Ukraine geboren, bewährte sich im Heer des Zaren und wurde von ihm zum Fürsten der Urkaine erkoren. Durch seine Erfolge übermütig geworden, schloss er sich 1708 jedoch einer schwedischen Invasion an, kämpfte gegen seinen ehemaligen Dienstherren und wurde vernichtend geschlagen. Mazeppa musste fliehen und starb wenige Monate später als Verfolgter unweit der türkischen Grenze. Der Zar ließ alle Denkmäler und Zeichen des Abtrünnigen beseitigen, konnte aber nicht verhindern, dass seine Gestalt in der Volksüberlieferung weiterlebte. Da wiederum wurde Mazeppa im Laufe der Jahre einiges angedichtet bis hin zu Puschkins Versbearbeitung “Poltawa” (1829), so dass er zu Tschaikowskis Zeiten je nach Ansicht mal als Freiheitskämpfer, mal als Verräter gehandelt wurde.
Der Komponist jedenfalls entschied sich – kaum verwunderlich – für Mazeppa, den Intriganten. Burenins Libretto, das ihm als Grundlage für seine Oper diente, musste allerdings noch ein paar Veränderungen erfahren. So gab es zunächst keine brauchbare Rolle für eine Tenorpartie, also wurde der junge Kosake Andrej geschaffen, der die Tochter des Landvogts Kotschubej und von seinem Herrn Mazeppa gewaltsam als Frau heimgeführte Maria unerwidert liebt. Für ihn und Maria schrieb Tschaikowski zwei der seltsamsten Duette der Musikgeschichte, eines, bei dem die beiden aneinander vorbei singen, ein anderes, bei dem Maria bereits wahnsinnig ist und Andrej stirbt. Überhaupt erscheint die Geschichte aus heutiger Perspektive inhaltlich ein wenig bemüht, doch sie bietet auf der anderen Seite die Möglichkeit, reichlich Lokalkolorit auf die Opernbühne zu bringen. Und sie hat die wunderbare Musik Tschaikowskis, die von mächtigen Chorszenen über das Sinfonische Tableau der Schlacht von Poltawa im 3. Akt bis hin zu der eindrucksvollen Sterbeszene des jungen Kosaken reicht.
So kann Valery Gergiev und sein Ensemble aus den Vollen schöpfen. Die 1995 im St. Petersburger Marientheater aufgenommene Inszenierung schwelgt in Kostümen und großen Gesten. Da ist Platz für eine folkloristische Balletteinlage ebenso wie für reichlich sinfonisches Pathos. Da sind außerdem großartige Solisten wie die beiden Protagonisten Nikolai Putilin (Mazeppa), Sergei Aleksashkin (Kotschubej), die als gestandene Mannbilder den Männerkonflikt um Ehre und Verrat austragen. Darüber hinaus brillieren Viktor Lutsiuk als einfältiger, aber treuer Kosakenkrieger Andrej und Irina Loskutova als zunächst schnippische, dann verrückte Maria einschließlich der berühmten Sterbeszene. So bietet die DVD-Aufnahme von “Mazeppa” nicht nur die Möglichkeit, ein wenig bekanntes Werk des großen Tschaikowski kennen zu lernen, sondern wirft auch ein Schlaglicht auf die enormen Qualitäten der St. Petersburger Ensembles, die unter Valery Gergievs Leitung sich aus dem sozialistischen Erbe der Sowjetunion an die internationale Spitze des Operszene gespielt haben.