Zuweilen gelingt es doch einem Künstler, Werke so zu spielen, dass man sie neu entdecken kann, auch wenn sich der Notentext nicht verändert. Rafał Blechacz ist so eine Ausnahme. Der junge polnische Pianist verfügt nicht nur über eine frappierend brillante Spieltechnik, sondern über eine auf sorgfältiger Reflexion gründende Autonomie im Ausdruck, die seine Interpretationen weit über das hinaushebt, was sonst zu hören ist. Nach seinem spektakulären Debüt bei der Deutschen Grammophon mit Chopin-Etüden hat er sich nun drei Sonaten von Joseph Haydn, Ludwig van Beethoven und Wolfgang Amadeus Mozart vorgenommen, die er nicht nur meisterhaft präsentiert, sondern auf verblüffend stimmige Art zueinander in Beziehung setzt.
Natürlich kann man nachlesen, dass der junge Beethoven während seiner Unterrichtszeit bei Joseph Haydn schwer beeindruckt von der Gestaltungskompetenz seines Vorbilds war und kraft seines eigenen Genies versuchte, ihm auf bestmögliche Weise etwas entgegen zu setzen. Aber um das wirklich nachvollziehen zu können, muss man sich schon eindringlicher mit den Werken beschäftigen, Strukturen, wohlmöglich Spielhaltungen herausarbeiten, die sich erst nach einschlägigem Studium der Werke nachvollziehen lassen. Rafał Blechacz ist jemand, der sich diese Mühe macht, und seine Auseinandersetzung mit den Sonaten der klassischen Meister ist von verblüffender Klarheit und intellektueller Schärfe: “Ich habe hier Haydns späte Klaviersonate Es-Dur neben Beethovens Opus 2 No.2 gestellt, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf die Beziehungen zwischen den beiden Komponisten zu lenken und auf den starken Einfluss, den Haydn auf das Frühwerk seines jüngeren Kollegen hatte”, kommentiert er die ungewöhnliche Auswahl. “Haydns Stil war für Beethoven Vorbild und Bezugspunkt zugleich, Grundlage für die tastende Entwicklung seiner individuellen Ausdrucksweise … Wenn ich bestimmte Passagen in Klaviersonaten der Klassik spiele, stelle ich mir immer gerne die Klangfarbe anderer Instrumente vor. Beim Studium von Haydn, Beethoven oder Mozart habe ich oft versucht, das Werk oder Teile davon im Geist zu ‘orchestrieren’, um mir Klarheit über Artikulation, Pedalgebrauch oder Klangfarbe zu verschaffen. Nach dem Durchspielen dieser ‘imaginären Orchestrierung’ waren die interpretatorischen Zweifeln meist ausgeräumt”.
Für Rafał Blechacz steht hinter diese Vorgehensweise der an sich nahe liegende Gedanke, dass ein Komponist immer in der Gesamtheit seines Schaffens und des zeittypischen Diskurses gesehen werden muss, was aber wiederum viel Hintergrundwissen und analytische Kompetenz erfordert, um die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wenn dann klar wird, wie ein bestimmtes Motiv aus einer Cello-Charakteristik heraus verstanden oder als Passage eines Streichquartetts gesehen werden kann, dann erscheinen die Wendungen der Komponisten am Klavier oftmals stimmiger, als wenn man versucht, sie vom Notentext als solchen zu extrahieren. Im Fall der Sonaten-Einspielung von Rafał Blechacz jedenfalls eröffnen sich Welten der Klarheit und Finesse. In Bezug auf den dritten Komponisten im Bunde bedeutet das beispielsweise: “Mozarts Sonate D-Dur KV 311 repräsentiert seinen stets individuellen, ja unvergleichlichen Klavierstil mit erkennbarer Nähe zu seinen Opern und symphonischen Werken. Die schmerzliche Schönheit der sanglichen Themen des zweiten Satzes ist besonders ergreifend und tröstlich. Ihre Verwendung zeigt, dass Mozarts größte Liebe der Oper galt. Ich habe den Eindruck, dass der mittlere Satz oft das ‘Herz’ eines Werkes darstellt. Häufig bringt der Komponist – wie auch der Interpret – in diesem Satz die tiefsten Geheimnisse seiner Seele musikalisch zu Ausdruck”: Bei Rafał Blechacz allerdings bekommt man der Eindruck, dass das auch für die übrigen Sätze, ja für Musik überhaupt zutrifft.