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Pablo Heras-Casado
Pablo Heras-Casado

Liebesbegehren – Sinnliche Motetten von Praetorius

Pablo Heras-Casado
© Harald Hoffmann / DG
04.06.2015

Wer im 16. und 17. Jahrhundert über Erotik sprach, der musste sich vorsehen. Allzu offene Worte durfte er nicht wählen. Das Terrain war vermint. Religiöse Tabus beherrschten das Feld.

Das Lied der Lieder

Wer sich zu weit vorwagte, musste mit gesellschaftlicher Isolation rechnen, im schlimmsten Fall sogar mit dem Tod. Die Kunst war gehalten, erotische Phantasien zurückzustellen oder sie religiös einzubetten. Letzteres besaß natürlich seinen Reiz. Wie schön ist das Verbotene! Wie begehrlich ist gerade die Frucht, die nicht erlaubt ist. Die Vertreibung aus dem Paradies zeugt bereits hiervon. Das erotische Thema schwingt oft mit in der Bibel. Man muss zwischen den Zeilen lesen oder einfach das Hohelied der Liebe aus dem Alten Testament aufschlagen.

Das “Lied der Lieder”, wie es auch genannt wird, ist ein reicher poetischer Fundus. In blumenreicher, sinnenfroher Sprache wird hier auf das Liebesleben angespielt. Die Liebe wird als das Süßeste und Schönste beschworen, was das menschliche Leben zu bieten hat. Sie ist zart und verletzlich, muss aber trotzdem gewagt werden, damit das menschliche Leben Sinn hat.

Erotisches Refugium

Das Hohelied der Liebe war das erotische Schlupfloch, durch das die Kunst kroch. In diesem Refugium war man sicher. Hier lagen die Zügel nicht so eng an. Es durfte gesprochen werden, und dass dies nur im Halbdunkel ging, mit Anspielungen und äußerster Diskretion, steigerte den Reiz noch. Dankbar griffen Komponisten zwischen Spätrenaissance und Frühbarock auf das Lied der Lieder zurück und vertonten Teile daraus. Dann erklang es, etwa bei Hochzeiten, schließlich auch in der Kirche.

Die drei Komponisten, die sich Pablo Heras-Casado für sein neues Album “Praetorius” ausersehen hat, waren auf diesem Gebiet aktiv. Sie vertonten in Gestalt von Motetten Passagen des Hoheliedes. Heras-Casado brennt für diese feinsinnige Kunst, mit der er im Alter von 19 Jahren erstmals in Berührung kam. “Seit jener Zeit”, so Heras-Casado gegenüber Sören Ingwersen, “bin ich fasziniert von diesen Kompositionen. Und ihre Einspielung mit dem Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble ist für mich die Erfüllung eines Traums.”

Zarte Bande

Das Ergebnis ist außerordentlich. Pablo Heras-Casado birgt ein nahezu vergessenes Repertoire und macht es dem Publikum zugänglich. Das Verdienst, diese herzergreifende, vielstimmige Liedkunst gerettet zu haben, kann gar nicht hoch genug gelobt werden. Ohne die Initiative des spanischen Dirigenten und die ebenso zärtliche wie präzise Gesangskunst des Balthasar-Neumann-Chors wären diese Motetten, die mit ihren Dissonanzen an manchen Stellen regelrecht modern anmuten, im Orkus der Geschichte gelandet.

Heras-Casado hat neun Motetten ausgewählt. Sie stammen von Hieronymus Praetorius (1560–1629), seinem Sohn Jacob (1586–1651) und von Michael Praetorius (1571–1621), der mit den beiden Erstgenannten nicht verwandt ist. Michael war Dresdner Hofkapellmeister. Hieronymus und Jacob entstammten einer großen Hamburger Organistenfamilie. Alle beherrschten sie perfekt ihr polyphones Handwerk, und mit ihren mal unschuldig, mal diskret-verführerisch anmutenden Motteten zaubern sie Stimmungen der Liebe hervor, die bis heute Gültigkeit haben und direkt zu Herzen gehen.

Praetorius
PRAETORIUS Pablo Heras-Casado
8. Juni 2015

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