Maurizio Pollini gilt als “lebende Legende” (Neue Zürcher Zeitung). Der Name des italienischen Starpianisten, der seit sechs Jahrzehnten auf den großen Konzertbühnen der Welt unterwegs ist, steht für vollendete Eleganz. Kaum ein Pianist besitzt ein so feines Sensorium für Proportionen wie dieser Spross eines Mailänder Architekten, dem das Gefühl für Formen in die Wiege gelegt zu sein scheint. Markenzeichen seines Klavierspiels ist sein weicher Anschlag. Damit erzeugt er ein rundes Klangbild, das dem Ohr schmeichelt und die Lust an musikalischer Schönheit weckt. Virtuosität und Empfindsamkeit gehen bei Maurizio Pollini Hand in Hand. Sein entspannt wirkendes Spiel, Frucht einer makellosen Technik, eröffnet ihm ein breites Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten. Weil die Hände ihre Arbeit scheinbar wie von selbst tun, kann er sich ungestört dem poetischen Gefühl hingeben.
Dass er mit dieser Gabe für die Musik Frédéric Chopins prädestiniert war, erfuhr die Weltöffentlichkeit 1960, als er im Alter von nur 18 Jahren den Ersten Preis beim Internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau gewann und den berühmten Juror Artur Rubinstein in Begeisterung versetzte.
Es war der Startschuss zu einer großen internationalen Laufbahn, die der Pianist von Beginn an selbstbewusst gestaltete. Als er nach dem Gewinn des Chopin-Wettbewerbs spürte, dass die Intensitäten des Konzertlebens seiner musikalischen Entwicklung abträglich sind, sagte er für anderthalb Jahre alle Konzerttermine ab. “Ich wollte mein Repertoire erweitern, Beethoven, Schumann und Brahms spielen”, schildert er gegenüber Bruno Monsaingeon seine damalige Lage als blutjunger Solist, der in der Folge bei dem italienischen Kultpianisten Arturo Benedetti Michelangeli Zuflucht findet und in dessen erlesener Schülerschar seine pianistischen Fähigkeiten verfeinert. Um 1968, als er erstmals in den USA auftritt, beginnt er sich ausgiebig mit der musikalischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts zu befassen, erarbeitet sich wichtige Werke von Schönberg, Bartók und Boulez und lernt den schillernden Komponisten Luigi Nono kennen.
Die Begegnung elektrisiert und politisiert ihn. Pollini sympathisiert mit der linken Revolte in Italien und beteiligt sich an zahlreichen Konzertprojekten für Arbeiter und Studenten, denen er ein Recht auf Teilhabe an der großen Musiktradition Europas zuschreibt. Musikalisch bleiben aus jener Zeit die weitgespannten Programme des Pianisten, der bei seinen Auftritten gerne romantisches und zeitgenössisches Repertoire mischt. Als seine größte pianistische Stärke kristallisiert sich im Laufe seines Lebens neben seiner atemberaubenden Virtuosität sein poetisches und impressionistisches Geschick heraus, das mit fortschreitendem Alter immer feinere Formen annimmt. Ein beredtes Zeugnis hierfür sind seine jüngeren Veröffentlichungen, allen voran seine hinreißende Interpretation von Debussys Préludes, deren zweites Buch er 2016 einspielte und 2018 erstmals herausbrachte. Mit seinem Chopin-Album von 2019 und seiner 2020 erschienenen Aufnahme der letzten drei Klaviersonaten von Beethoven schuf Pollini poetische Kostbarkeiten, die in ihrer klanglichen Vollendung ihresgleichen suchen.