Im Salon des Technoclubs Ritter Butzke in Kreuzberg breiteten die Besucher ihre Jacken auf dem Boden der Tanzfläche aus, die sie zu einem spontanen Sit-In zweckentfremdeten. Andächtige Stille legte sich über den Raum, als der iranisch-amerikanische Cembalist Mahan Esfahani gegen 22:00 die ersten Noten auf dem historischen Tasteninstrument anschlug.
Womöglich brachte ihn die mondäne, unkeusche Location dazu, weitgehend im Barock zu bleiben, mit Werken von Rameau, Scarlatti und Bach. In den Ansagen ließ der 31-Jährige den sarkastischen Humor seiner Wahlheimat London aufblitzen, wurde zum Entertainer und Quizshowmaster, erzählte Geschichten und witzige Anekdoten. Mit halsbrecherischer Geschwindigkeit schüttelte er bulgarische Tänze von Bartok aus dem Ärmel, machte am Ende des Abends, bei einem Stück von Purcell dann so dramatische Kunstpausen, dass mancher den Atem anhielt.
Esfahani ist ein geradezu fanatischer Überzeugungs-Cembalist, der das Instrument von seinem Stigma der Kostümfilm-Untermalung befreien möchte. Auf seinem neuen, am 8. Mai erscheinenden Album “Time Present and Time Past” stellt er, begleitet von einem auf historische Aufführungspraxis spezialisierten Orchester, die zeitlosen Ornamente von Bach und Corelli neben den hypnotischen Minimalismus von Steve Reich und zeigt die Querverbindung zwischen beiden. Sie liegt in den vielschichtigen, im Raum schwebenden, ekstatischen, schönen Patterns ihrer Musik.
In vielerlei Hinsicht überraschte Esfahani seine Zuhörer. Für die Meisten war dies die seltene Gelegenheit, sich in den Klang des Cembalos hinein zu hören, das als Solo-Instrument in der heutigen Klassik-Szene kaum stattfindet – mit “Time Present and Time Past” veröffentlicht die Deutsche Grammophon das erste Cembalo-Album seit 30 Jahren. Innig verschmolz Esfahani mit dem Instrument, reihte kunstvoll Ornament an Ornament, ließ Patterns herauspurzeln, die kein Piano so filigran herausbrächte. Das musikalische und visuelle Rahmenprogramm des Abends gestalteten die DJs Clé und Dr Atmo gemeinsam mit dem kanadischen Visual Artist Pierce Warnecke.
Mit einem Lächeln ging man nach diesem besonderen Konzerterlebnis wieder hinaus in die Kreuzberger Nacht.