Heimat ist eine Frage der Empfindung. „Natürlich klinge ich georgisch, wenn ich spiele, das lässt sich gar nicht vermeiden“, meint die Geigerin Lisa Batiashvili. „Ich habe meine Kindheit dort verbracht, und in Georgien spürt man eine unglaubliche Intensität. Das alles ist in meinen Genen und in meinem Blut, obwohl ich jetzt schon seit mehr als 20 Jahren in Europa lebe“. Es sind Grundlagen auf der einen Seite, Färbungen auf der anderen, die eine musikalische Kosmopolitin der Gegenwart prägen, auch wenn die damit verbundenen Empfindungen es nicht immer einfach machen: „In den letzten 15 Jahren war ich mir manches Mal nicht mehr vollkommen sicher, wohin ich eigentlich gehöre. Andererseits ist es für Musiker von Vorteil, wenn sie sich überall auf der Welt zuhause fühlen. Ich habe jetzt einen französischen Ehemann, unsere Kinder wurden in Deutschland geboren, und ich habe mich an diese Art zu leben gewöhnt. Wenn man in der ganzen Welt konzertiert, ist es wichtig, einen guten Draht zu den unterschiedlichsten Menschen entwickeln zu können. Und wenn einem das gelingt, ist man kein Fremder mehr, wo immer das auch sei“.
Tatsächlich ist es sogar von großem Vorteil, schon von Kindesbeinen an Flexibilität gewohnt zu sein. Für Lisa Batiashvili bedeutet das auch, dass sie selbstverständlich um den Erdball reist, um mit den wichtigsten Ensembles der Klassikwelt von New York bis Sydney und Chicago bis Berlin zu arbeiten. Einige Orte allerdings kennt sie besser als andere, insbesondere Hamburg, wo sie bei Mark Lubotsky studierte, und München, das für sie 15 Jahre lang Heimatstadt und Ausgangspunkt ihrer Karriere war. Und doch griff die Geigerin für ihr Debüt bei Deutsche Grammophon auf Musik wie etwa das erste Violinkonzert von Dimitri Shostakovich zurück, die bis weit in die Gefühlswelt ihrer Kindheit zurück reichen. „Das Stück entwickelte sich zu einem Symbol der Zeit während der Sowjetherrschaft, die ich während der ersten zehn Jahre meines Lebens ja selbst erlebt habe. Auch die Musiker suchten in der Sowjet-Ära nach jener Freiheit, der Shostakovich mit seiner Musik nachspürte. Musik war eine Zuflucht, ein Symbol der Freiheit in einer Zeit, in der es schwer war, innerhalb dieses unglaublich brutalen Systems zu funktionieren. Wenn ich mit meinen Eltern nach Moskau reiste, trafen wir viele Leute, und ich fühlte sehr deutlich, dass diese Musik ein Spiegel dessen war, was wir durchmachten“.
Neben Shostakovich sind auf „Echoes of Time“ auch andere Marksteine der Empfindung zu hören, die Lisa Batiashvili in Musik übersetzt. So etwa „V & V“ ihres Landsmanns Giya Kancheli, die Miniatur „Spiegel im Spiegel“ des Esten Arvo Pärt oder die „Vokalise“ von Sergei Rachmaninov. Für die beiden letzten Stücke hatte sich die Geigerin die Pianistin Hélène Grimaud als Partnerin gewünscht, was sich während der Aufnahmen als faszinierend klangintensive Kombination zweier sensibler Interpretinnen herausstellte. Die Werke mit Orchester wiederum entstanden zusammen mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das die Künstlerin aus ihren Münchner Jahren gut kannte. Als Dirigent wiederum konnte der Finne Esa-Pekka Salonen gewonnen werden – auch das eine ideale Kombination: „Schon bei der ersten Shostakovich-Probe hatte ich das Gefühl, als hätten wir schon tausend Mal miteinander musiziert. Mit Esa-Pekka scheint alles so natürlich und leicht. Alles fügt sich wie von selbst, er hat eine unglaubliche Intuition“. Das wiederum heißt, dass „Echoes of Time“ der perfekte Ausgangspunkt ist, von dem aus Lisa Batiashvili die letzte Distanz angehen kann, die ihr noch fehlt, um an der Spitze der ersten Liga mitzumischen. Denn persönlicher, intensiver und packender als mit diesen Aufnahmen, kann man sich kaum präsentieren.