Wenn jemand prädestiniert dafür war, Gershwins “Rhapsody in Blue” zu spielen, dann Leonard Bernstein. Seelenverwandt mit dem wahren Ahnen der amerikanischen Musik, hat er in zahllosen grenzüberschreitenden Konzerten den Spaß am Hören und Erleben praktiziert, der durch hochkulturelle Riten dem Publikum abhanden gekommen war. Und er hat als Pianist und Dirigent eine wunderbare Interpretation sowohl der “Rhapsody”, als auch der Suite mit Melodien seines eigenen Meisterwerks “West Side Story” aufgenommen.
Als George Gershwin die “Rhapsody In Blue” schrieb, war der Jazz noch jung und hatte erhebliche Legitimationsprobleme. Zum einen merkten vor allem die Künstler, dass in New Orleans und seit den Zwanzigern auch in mehreren anderen amerikanischen Großstädten wie Chicago, Memphis, Kansas und New York etwas brodelte, das nach Veränderung klang. Da gab es schillernde Gestalten wie Jelly Roll Morton, Bix Beiderbecke, King Oliver, die eine neue Musik entwickelten, die in erfreulicher Weise ungehörig war. Allerdings fand sie an den falschen Stellen statt, in Clubs und Kaschemmen, Bars und auf der Straße, überall dort, wo sich der (mächtige und finanzkräftige) Bürger nur selten hinwagen würde. Deshalb gab es beinahe ebenso schnell wie den Jazz auch Figuren des Business, die versuchten, den Trend für die Hochkultur nutzbar zu machen. Einer davon war Paul Whiteman, ein Bratschist aus Denver, der es zu einem der beliebtesten Tanzorchesterleiter der zwanziger Jahre gebracht hatte. Seine Schellacks verkauften sich in Millionenauflage. Er war ein Star, wenn auch selbst kein herausragender Komponist und Musik (obwohl sein Nachlass stolze 4000 Partituren umfasst).
Immerhin, Whiteman verstand sich aufs Geschäft, nannte sich großspurig “King Of Jazz” und lancierte den größten Kunstgriff seiner Karriere, als er 1923 einem jungen Tonsetzer namens George Gerswhin, der zuvor vor allem an der Schlagermeile – der New Yorker “Tin Pan Alley” – Erfolg gehabt hatte, den Auftrag für ein Jazzkonzert gab. Der wiederum brachte das Stück in wenigen Wochen unter enormem Zeitdruck zu Papier und saß bei der Premiere am 12. Februar 1924 in der New Yorker Aeolian Hall selbst am Klavier. Diese “Rhapsody in Blue”, kaum länger als eine Viertelstunde, sollte die amerikanischen Musikgeschichte verändern. Denn Gershwins Gespür für außergewöhnliche Melodien mit jazzy Flair im symphonischen Kontext polte den Geschmack vieler Zeitgenossen um und trug deutlich dazu bei, dass die zuvor belächelte Musik zum beherrschenden Trend der dreißiger und vierziger Jahre avancierte.
Leonard Bernstein wiederum hörte die “Rhapsody” zum ersten Mal am 26.August 1944 im Hollywood Bowl im Rahmen Konzertes mit Oscar Levant und den Los Angeles Philharmonikern. Der junge Pianist Dirigent war derart begeistert, dass er sie zu seinem Stück erklärte, sie bis zum Umfallen übte und im kommenden Jahr zum “Gershwin Memorial” mit den New Yorker Philharmonikern und sich selbst als Solist zur Aufführung brachte. Sie begleitete ihn sein ganzes Leben, beeinflusste seine Liebe zum Jazz und sogar die eigenen Kompositionen, die den Geist von Gershwin atmen. Deshalb ist es bis heute etwas Besonderes, Bernstein persönlich die “Rhapsody” spielen zu hören. Denn hier hat einer verstanden, was Gershwin meinte, hat es selbst durchlebt und immer wieder versucht, an die Hörer seiner Konzerte weiter zu geben. Schon deshalb ist Bernsteins Version der “Rhapsody” die zweitbeste, die es zu kaufen gibt – gleich nach der rekonstruierten Einspielung, die Meister Gershwin persönlich in den Zwanzigern in die Papiere eines Walzenpianos stanzte.
Die Referenz:
“…für mich die rhythmisch packendste Einspielung seit Jahren.” (W.Palucka in orpheus 12/83)
Näheres zur Referenz-Reihe unter http://www.referenzaufnahmen.de