Mit sieben Jahren begann er Komposition und Physik zu studieren. Mit neun Jahren vertiefte er sich an der Utah State University in die Fächer Musik, Mathematik und Biologie. Dann kam noch die Chemie obendrauf, der er sich parallel zu seinem Klavier-Studium bei Eleanor Sokoloff widmete, bevor ihn im Alter von dreizehn Jahren der Starpianist Alfred Brendel unter seine Fittiche nimmt und in ihm “die größte musikalische Begabung” erblickt, der er je begegnet sei.
Ein Frühvollendeter also, ein Wunderkind, könnte man sagen. Doch damit würde man dem versierten Pianisten, Organisten und Komponisten nicht gerecht. Kit Armstrong verkörpert weit mehr als einen mit stupender Intelligenz und überragender Musikalität ausgestatteten Überflieger.
Der 1992 in Los Angeles geborene Künstler ist eine Entdeckernatur par excellence. Seine Triebfeder ist das Außergewöhnliche, die Erkundung von Neuland, das in zeitgenössischem Repertoire nicht weniger zu finden ist als in Alter Musik. Überraschend ist es daher nicht, dass Kit Armstrong sein Debüt bei Deutsche Grammophon mit einer ungewöhnlichen Entdeckungsreise zu entlegenen Schätzen der frühen europäischen Klaviermusik bestreitet.
Der Weg führt ihn nach England, zu den Virginalisten, die auf einem kleinformatigen Cembalo, dem Virginal, ihre virtuose Kunst darbieten. In seinem Visier stehen Werke von William Byrd und John Bull, zwei Stars unter den Virginalisten des 16. und 17. Jahrhunderts. Armstrong hält sie für Visionäre der westlichen Musiktradition und schreibt ihnen den Verdienst zu, die Idee des musikalischen Monologs in unseren Breiten etabliert zu haben. Um jeden Eindruck von Musealisierung zu verhindern, interpretiert er ihre Musik auf einem modernen Flügel.
Was ihn an den beiden Komponisten reizt, sind ihre unterschiedlichen Temperamente. Byrd ist für Armstrong der Kontrollierte, an reiner Schönheit interessierte, Bull der leidenschaftliche Exzentriker, der die überlieferten Formen sprengt. Dieser krasse Gegensatz, der sich in Armstrongs Klavierspiel lebhaft Geltung verschafft, macht den unwiderstehlichen Reiz seines soeben erschienenen Doppelalbums aus.
Stücke wie “The Maiden’s Song” oder “John Come Kiss Me Now” von William Byrd sind in ihrer natürlichen Einfachheit von atemberaubender Anmut. Dass Byrd eine fromme Persönlichkeit war, der die Welt mit bewundernden Augen ansah und großen Respekt vor der Schöpfung besaß, spricht im zartfühlenden Spiel von Kit Armstrong aus jeder Note. Dagegen spürt man in Werken wie “Fantastic Pavan” oder “Fantasia on a Fugue of Sweelinck” von John Bull eine fiebrige Gespanntheit, die von überraschender Modernität ist.
Der Gedanke liegt nahe, dass Armstrong mit dem Gegensatz der beiden Komponisten den zwei Seelen in seiner eigenen Brust Ausdruck zu verleihen suchte: dem Mathematiker und Naturwissenschaftler, der die Gesetze des Universums bewundert, und dem Künstler und fühlenden Menschen, der an den Grenzen rüttelt und mit der Welt nicht eins sein kann. In einer Zeit wie der unseren, die von wissenschaftlichem Fortschritt genauso geprägt ist wie von Unsicherheit, ein bewegender musikalischer Kommentar.