Johann Sebastian Bach war nie in München. Dass das musikalische Leben der Stadt bis heute dennoch so eng mit dem Werk des Thomaskantor verbunden wird, geht auf das Wirken Karl Richters zurück, der den Ruf Münchens als wichtige Stätte der Bach-Pflege in aller Welt etablierte. Karl Richter, am 15. Oktober 1926 in der erzgebirgischen Stadt Plauen als Sohn eines evangelischen Pastors geboren, kam mit 11 Jahren an die berühmte Kreuzschule in Dresden. Dort wurde Rudolf Mauersberger, in dessen Dresdner Kreuzchor er als Knabe sang, sein erster Mentor. Nach dem Krieg studierte Richter in Leipzig bei Karl Strauber und Günter Ramin, wurde bereits mit 23 Jahren Thomaskirchen-Organist. 1951 ging Richter nach München, wo er an der Hochschule für Musik einen Lehrauftrag als Orgellehrer und zugleich die Kantorenstelle an der evangelischen Kirche St. Markus annahm. An der Hochschule in München gab er die Leipziger Orgeltradition, die noch auf Bach selbst zurückzuführen war, an seine Schüler weiter. 1953 legte er mit der Gründung seines Münchner Bachchores und des Münchner Bachorchesters den Grundstein für eine bis dato beispiellose Bachpflege, deren Ruf sich rasend schnell verbreitete. Dazu trugen nicht nur die zahllosen Konzerte in München und internationalen Tourneen bei. Mit unerschöpflicher Energie produzierte Karl Richter eine Schallplattenaufnahme nach der anderen, deren Schwerpunkt auf der Musik Bachs in allen ihren Spielarten lag, und deren Verkäufe weltweit Rekordzahlen erreichten.
Vier Jahrzehnte nach seinem Tod nun präsentiert die Deutsche Grammophon einen vollständigen Überblick aller seiner Aufnahmen für Archiv Produktion, DG und Decca. Die opulent ausgestattete Box mit 97 CDs präsentiert Karl Richter als Organist, Cembalist, Kammermusiker, Continuo-Spieler und schließlich in seiner herausragenden Rolle als Dirigent großer Orchester- und geistlicher Chorwerke mit seinem Münchner Bachchor und dem Münchner Bachorchester. Von besonderem Interesse dürften die drei Blu-ray Audios sein – sie enthalten neben den beiden Passionen, der h-Moll-Messe und dem Weihnachtsoratorium auch das gesamte Kantatenwerk Johann Sebastian Bachs in audiophiler Qualität. Zu den Highlights gehören die Violinsonaten mit Wolfgang Schneiderhan, das “Schemelli-Liederbuch” mit Peter Schreier oder Richters allererste Aufnahme für die Archiv-Produktion als Continuospieler in Händels “Concerti Grossi” Op. 6 mit den Bamberg Symphonikern unter Fritz Lehmann. Mit Bachs Flötensonaten (BWV 1033–1035) mit Aurèle Nicolet, den Doppelkonzerten BWV 1043, 1060, 1064R sowie einem Mitschnitt von Regers Fantasie über B-A-C-H an der Basilikaorgel Ottobeuren sind zahlreiche Erstveröffentlichungen in der Edition vertreten. Ergänzt wird die Box durch ein 176 Seiten starkes Booklet, das neben einem informativen Beitrag des Richterspezialisten und Diskographen Roland Wörner auch den Nachdruck einer persönlichen Hommage des Tenors und Freundes Peter Schreier, sowie viele Fotos enthält.
Bereits am 2. Oktober wird ein Titel aus Händels “Feuerwerksmusik” (HWV 351) erstmals zum Download und Streaming verfügbar gemacht: “La Réjouissance”, der 4. Satz der Suite, aufgenommen 1973 in der Brent Town Hall, in London-Wembley – Karl Richter dirigierte das English Chamber Orchestra. Die komplette Feuerwerksmusik folgt dann am 6. November.