Tatsächlich sind die Kritiken euphorisch und charakterisieren Gustavo Dudamels Dirigierkunst mit den Göteborger Symphonikern als „grenzenlos ausdrucksstark“ (Svenska Dagbladet) oder bescheinigen ihr eine „enorme Spannung“ (General-Anzeiger Bonn). Fachleute wundert das zwar wenig, schließlich gilt Gustavo Dudamel als einer der mitreissendsten und temperamentvollsten Dirigenten der Gegenwart. Trotzdem ist die Verbindung des jungen Maestros aus Venezuela, der im vergangenen Januar seinen 30.Geburtstag gefeiert hat, und des schwedische Traditionsorchesters, das bereits auf eine mehr als hundertjährige Geschichte zurückblicken kann, ein besonderer Glücksfall der Fusion der Charaktere. Denn der eine bringt nicht nur das Feuer und die Energie eines Vollblutmusikers mit, der sein Handwerk schon als Jugendlicher an der Basis mit dem Simón Bolívar Youth Orchestra of Venezuela gelernt hat und seitdem auf der ganzen Welt Erfolge an den Pulten großer Orchester von den Berliner Philharmonikern bis hin zum Los Angeles Philharmonic Orchestra feiert (dem er ebenso wie den Göteborgern als Chefdirigent vorsteht).
Er kann auch auf eine profunde Spieltradition und das internationale Renommee eines Orchesters bauen, das spätestens unter der Amtszeit von Neeme Järvi zum weltweit geschätzten Spitzenensemble avancierte. Jean Sibelius beispielsweise kannten die Göteborger in ihrer Geschichte noch persönlich, ebenso Carl Nielsen, die beide auch als Gastdirigenten der Symphoniker fungierten. Manche Werke wurden gar zu Spezialitäten des Orchesters. Die zweite Symphonie von Sibelius zum Beispiel spielten sie im Laufe der Jahre immerhin 136-mal, wobei die Interpretationen mit dem aktuellen Chefdirigenten Gustavo Dudamel zu den bemerkenswertesten gehören. Denn wie kaum ein anderer Maestro der Gegenwart schafft er es, Werke von innen heraus leuchten zu lassen und ihnen damit eine Kraft und Energie zu verleihen, die sonst nur selten entfesselt wird.
Das gilt für Sibelius und die beiden vergleichsweise kurzen Symphonien Nr. 4 und Nr. 5 von Carl Nielsen, im Besonderen aber auch für die letzte, unvollendete Symphonie von Anton Bruckner. Vom Komponisten selbst angesichts seines nahenden Todes mit einem Nimbus des Schwermütigen umgeben, schaffen es Dudamel und die Göteborger Symphoniker dem Werk eine bejahende, hoffnungsvolle Dimension abzugewinnen, ohne damit den Gesamtcharakter des großen Wurfs anzutasten. So ist die 3CD-Box mit den Werken von Bruckner, Sibelius und Nielsen nicht nur eine hervorragende Dokumentation von Dudamels bisheriger Arbeit in Stockholm, sondern hat für Connaisseure des Symphonischen das Zeug dazu, damit mindestens einen Komponisten neu entdecken zu können.