In der Brust des Francesco Tristano schlagen bekanntlich zwei Herzen. Prägende musikalische Eindrücke sammelte der Luxemburger nach seiner klassischen Ausbildung zum Pianisten und Komponisten während des Studiums an der Juillard School. In den Tanzclubs von New York kam er mit Technomusik in Berührung. Besonders faszinierten ihn die ausgedehnten DJ-Sets von Danny Tenaglia – 10 Stunden Musik ohne Unterbrechung, die virtuose Verschmelzung einzelner Musikstücke zu einem großen Bogen. Hier begann Tristano sein klassisch geschultes Denken über Musik zu hinterfragen, das Verhältnis von Harmonie, Rhythmus, Klang und die Rolle des Pianisten im Kontext des klassischen Recitals zu überdenken. Mit der von ihm gegründeten Band Aufgang spielt er von Minimal Music und Techno geprägte Musik und auf dem Album „Not for Piano“ präsentiert er 2007 mittels stilistischer Anleihen bei Klassik und Minimal Music kreierte Versionen von Techno-Klassikern für Klavier. Als Solokünstler bestreitet Francesco Tristano Konzertabende ohne Unterbrechungen. Seine Maxime lautet: „Ein gutes Piano-Recital ist wie ein DJ-Set.“
Spurensuche in der Vergangenheit
Mit jeder Aufnahme von klassischer Musik betreibt Francesco Tristano auch eine Spurensuche. Besonders intensiv widmet er sich der Musik des Barock. In ihr spürt er die Wurzeln von Minimal Music, Electronica, Ambient und Techno auf. Er weist dabei Techniken und Muster wie Orgelpunkt, Ostinato und Arpeggio nach, die, teils umgedeutet, noch heute das Vokabular zeitgenössischer Stile bestimmen. So widmete er ein Album der Musik von Frescobaldi, spielte Bachs Goldberg-Variationen ein und brachte auf „bachCage“ Bach und Cage in einen Sinnzusammenhang. Auf seinem jüngsten Album „Long Walk“ erforscht Tristano Quellen der Inspiration von J.S. Bach. Als Ur-Modell der Goldberg-Variationen identifiziert er das Variationenwerk „La capricciosa“ von Bach-Lehrer Dietrich Buxtehude. Bach, so die überspitzt formulierte These des Pianisten, hat sich somit als Remixer betätigt. Tristano präsentiert auf seinem Album neben Interpretationen der Werke Bachs und Buxtehudes mit „Long Walk“ und „Ground Bass“ zwei eigene Variationenwerke auf Basis von Material aus den Goldberg-Variationen.
„Ground Bass“ Remixed
Zur abermaligen Bearbeitung gab Francesco Tristano das Stück „Ground Bass” in die Hände weiterer Musiker. In konsequenter Anwendung seiner Logik lud er sie ein, gleichsam Remixe vom Remix vom Remix anzufertigen. Eine natürliche Wahl ist die Berliner Formation Brandt Brauer Frick. Ähnlich Tristano experimentiert dieses aus klassischen Musikern bestehende Ensemble mit neuen Ausdrucksmöglichkeiten vor allem in Auseinandersetzung mit der Maschinenmusik Techno. Ihrer Grooves und Muster bedienen sich Brandt Brauer Frick, doch zur Klangerzeugung nutzen sie herkömmliche Instrumente. Das aufregende Konzept der Musiker findet weltweit Beachtung. Eine Tournee führte sie unlängst durch China und sie traten u.a. beim Montreux Jazz Festival und der Nuit Blanche im Pariser Centre Pompidou auf. Tristanos „Ground Bass“ in der Brand Brauer Frick Reinterpretation beginnt mit einem aus Tonhöhen-modulierten Paukenschlägen und nichtklingenden Cello-Saiten erzeugten Rhythmus. Darüber entfaltet sich eine gefilterte Klavierfigur aus dem Tristano-Stück, die sich bald in ein heftig groovendes Latin Piano-Lick verwandelt. Mit einer polyrhythmisch gesetzten Marimba-Stimme rufen Brandt Brauer Frick Erinnerungen an Steve Reichs „Drumming“ wach.
Der britische Techno-Produzent Kirk DeGiorgio genießt den Status eines „Producers’ Producer“. Der 1967 geborene Musiker gründete er Ende der 1980er Jahre das Label Applied Rhythmic Technology (ART), auf dem Künstler wie Carl Craig, Aphex Twin, The Black Dog und Photek eine Plattform für ihre frühen Arbeiten fanden. DeGiorgio, der Musik unter vielfältigen Pseudonymen wie As One , Future/Past und Offworld veröffentlicht, schlägt mit seinem Remix den Bogen zum New Yorker Erweckungserlebnis des jungen Francesco Tristano. Er greift für seinen Version von „Ground Bass“ auf das traditionelle Vokabular und Instrumentarium von Techno zurück: minimalistische Strukturen, synkopisch angeordnete Akkordschläge, Echoeffekte und Rhythmen aus dem legendären Drumcomputer TR−909.