Daniel Barenboim hat die Staatskapelle Berlin zu einem Klangkörper von Weltrang gemacht. Der warme Klang, die virtuose Klasse und die mitreißende Musizierfreude des Orchesters sind einzigartig auf dem internationalen Klassikparkett und lassen jede Neuveröffentlichung des berühmten Ensembles zu einem Ereignis werden. Der gerade erschienene Zyklus mit allen vier Sinfonien von Robert Schumann ist aber noch aus anderen Gründen ein außerordentliches Event:
Die Aufnahme erscheint zu Barenboims 80. Geburtstag am 15. November 2022. Mit ihr krönt der brillante Pianist und Dirigent seine langjährige Zusammenarbeit mit der Staatskapelle Berlin, der er seit 1992 vorsteht und die ihn im Jahr 2000 zum Chefdirigenten auf Lebenszeit wählte. Ferner ist dieser Schumann-Zyklus die einzige Neuveröffentlichung zum 80. Geburtstag von Daniel Barenboim, dem “wahrscheinlich größten Musiker unserer Zeit” (Zubin Mehta), ja vielleicht sogar dem “letzten Musikgenie” (Joachim Kaiser).
Was Barenboim an Schumann bewundert, ist dessen Eigensinn und Modernität. Er betrachtet ihn als den wichtigsten Komponisten des 19. Jahrhunderts und als Wegbereiter Richard Wagners und Gustav Mahlers. Schumanns Musik könne uns “als Menschen berühren – emotional oder rational, im besten Fall in beiderlei Hinsicht”, so Barenboim gegenüber dem Musikjournalisten Jürgen Otten.
Auf die Sinfonien des großen Komponisten ist der Maestro immer wieder zurückgekommen. 1977 nahm er sie mit dem Chicago Symphony Orchestra erstmals vollständig auf. 2003 folgte eine weitere Aufnahme des Zyklus mit der Staatskapelle Berlin. Jetzt legt Barenboim seine dritte Gesamteinspielung von Schumanns Sinfonien vor, erneut mit der Staatskapelle Berlin, als Live-Mitschnitt von gefeierten Konzertdarbietungen, die im September und Oktober 2021 in der Staatsoper Berlin stattfanden.
Barenboims neuer Schumann-Zyklus legt das Hauptaugenmerk auf harmonische Transparenz und dynamische Spannungen. Die vier Sinfonien neben als farbenreiche Klanggemälde Gestalt an. Das erzeugt einen einzigartigen Hörgenuss, der auf der dem Live-Doppelalbum (2 CDs) beiliegenden, in Dolby Atmos gemasterten Blu-ray eine gesteigerte Intensität erfährt.
Barenboim würdigt jede harmonische Kostbarkeit Schumanns. Die musikalische Originalität des Komponisten, sein emotionaler Tiefgang und seine poetische Manier kommen glänzend zur Geltung. In der Sinfonie Nr. 1 in B-Dur (op. 38), besser bekannt unter dem Namen “Frühlingssinfonie”, imponiert der Vorwärtsdrang und die Frische der Darbietung. In den langsamen Sätzen, etwa dem ersten oder dritten aus der zweiten Sinfonie in C-Dur (op. 61), bestechen der lange Atem und die gefühlvolle Interpretation Daniel Barenboims.
Von entfesselter Energie zeugt das Scherzo der vierten Sinfonie in d-Moll (op. 120). Dagegen beeindruckt der mondäne Kopfsatz der dritten Sinfonie in Es-Dur (op. 97) durch Diskretion und Kontrolliertheit. Was den gesamten Zyklus auszeichnet, ist, dass Schumann als der großer Bezwinger emotionaler Intensitäten und schöpferischer Energien greifbar wird, als romantischer Avantgardist mit einem untrüglichen Gespür für die passende Form.