Wie oft hat er diese beiden Klavierkonzerte schon gespielt! Ist da noch etwas Neues zu erwarten? Kommt da nicht irgendwann der Punkt, an dem es langweilig wird? Weit gefehlt. Daniel Barenboim ist ein unermüdlicher Erneuerer.
Seine Musikalität gleicht einem unversieglichen Quell. Es hört nicht auf zu sprudeln. Es geht immer weiter. Dieser Mann hat so viele Ideen, und er gießt sie mit einer solchen Selbstverständlichkeit in Musik, dass man manchmal nur staunen kann. So erging es auch dem Publikum, das im Spätsommer vorigen Jahres in den Genuss seiner Auftritte beim Musikfest Berlin 2014 kam. Die Stimmung war außerordentlich. Man spürte, dass hier etwas Besonderes geschieht. Die verwandelnde Kraft der Musik war mit Händen zu greifen.
Daniel Barenboim, so berichtet es Jan Brachmann, stand nach einem der Konzerte überglücklich im Foyer. Er konnte es selbst nicht fassen. Wieder einmal war ihm ein musikalisches Kunststück gelungen. Er hatte, wie schon so oft, beide Klavierkonzerte von Brahms gespielt, aber er tat dies mit einer solchen Lockerheit, dass sie in ganz neuer Manier erklangen: überaus prächtig und extrem dynamisch. Gewohnt bescheiden führte er die lebendige Interpretation auf das gute Zusammenspiel mit der Staatskapelle Berlin unter Gustavo Dudamel zurück.
Irgendetwas war anders als sonst. Dudamel hatte Barenboim mitgerissen. Einerseits gewährte er ihm Raum, um seine solistische Brillanz am Klavier zu entfalten. Andererseits war er voll konzentriert auf die Staatskapelle Berlin und forderte ihr alles ab, um die berückend schönen Harmonien von Johannes Brahms nicht nur transparent, sondern auch dynamisch erklingen zu lassen. Dabei entstand eine kongeniale Verbindung zwischen dem jungen venezolanischen Dirigenten Gustavo Dudamel und dem Grandseigneur der Klavier- und Dirigierkunst Daniel Barenboim.
Das musikalische Paar inspirierte sich. Daniel Barenboim wurde von dem enthusiastischen Temperament Gustavo Dudamels angesteckt, und Gustavo Dudamel profitierte von der unnachahmlichen Coolness und poetischen Reife Daniel Barenboims. Das Ergebnis war hinreißend, und es ist ein Segen, dass diese Auftritte beim Musikfest Berlin jetzt als Live-Mitschnitt einem größeren Publikum zugeführt werden. Die als Doppel-Album erscheinenden Aufnahmen beweisen eindrucksvoll, dass Brahms nicht in der Rolle des schwerblütigen Melancholikers aufgeht.
Über seinen Tiefsinn hinaus birgt er auch leichte Momente. Seine Musik vermag zu schweben, wie Barenboim und Dudamel eindrucksvoll vorführen. Darüber hinaus verfügen die sinfonisch angelegten Klavierkonzerte über einen schier unendlichen Reichtum an schönen Harmonien und poetischen Stimmungen. Es ist eine wahre Sinnenfreude, den differenzierten Harmonien von Brahms zu folgen, und es scheint Genießern wie Barenboim und Dudamel vorbehalten, sie in ihrer ganzen Pracht erklingen zu lassen. Wie trefflich Barenboim und Dudamel sich ergänzen, wird gleich zu Beginn des Ersten Klavierkonzerts in d-Moll (op. 15) deutlich.
Dudamel startet energisch. Die Berliner Staatskapelle bebt, wenn die gewaltigen Trommelwirbel mit den Bässen zusammenkommen. Die wehmütige Melodie der Streicher bleibt spannungsgeladen. Erst als das Klavier einsetzt, wird es wirklich stiller. Es ist, als ob Barenboim zum Innehalten auffordert. Dudamel folgt ihm. Man spürt, dass er auf das Klavier hört, und solche Bewegungen sind auf diesem Live-Album immer wieder zu bewundern. Sie verleihen schließlich auch dem Zweiten Klavierkonzert in B-Dur (op. 83) eine ganz besondere Wärme und Menschlichkeit.