Der lettische Dirigent ist voller Tatendrang. Pünktlich zum Amtsantritt kommt das neue Album des Dirigenten, der einer der gefragtesten unserer Zeit ist. Mit Bruckners eindrucksvoller Sinfonie Nr. 4 und Wagners Vorspiel zum 1. Akt von “Lohengrin” setzt Andris Nelsons seinen wegweisenden Bruckner-Zyklus fort.
Andris Nelsons braucht die Herausforderung. Er liebt das musikverrückte Leipzig und möchte mit dem Traditionsorchester in den kommenden Jahren eigene Akzente setzen. Dass er das Zeug dazu hat, konnte er bereits eindrucksvoll unter Beweis stellen. Sein erstes Album mit dem Leipziger Orchester erschien bereits 2017. Die Aufnahme von Bruckners Sinfonie Nr. 3 und Wagners Tannhäuser Ouvertüre war der Beginn des umfassenden Bruckner-Zyklus und löste ein begeistertes Presse-Echo aus.
Von einem “jugendlichen, stürmischen Bruckner” (The Sunday Times) war die Rede, von einer hinreißenden “Wärme und Klangfülle” (Gramophone) und “einer geheimnisvollen, grandiosen Atmosphäre” (Diapason), die Nelsons mit Bruckners Sinfonie Nr. 3 heraufbeschworen habe. Umso gespannter darf man jetzt natürlich auf sein neues Album sein, das soeben erschienen ist und mit Bruckners eindrucksvoller Sinfonie Nr. 4 (“Die Romantische”) eines der beliebtesten Orchesterwerke des visionären Romantikers ins Zentrum rückt.
An der Seite von Bruckners Sinfonie erklingt Wagners Vorspiel zum 1. Akt von “Lohengrin”. Die Kombination von Bruckner-Sinfonien mit Ausschnitten aus Wagner-Opern gehört zum Konzept des Zyklus, der die klangsprachliche Seelenverwandtschaft der beiden Komponisten vorführen möchte. Das bewährt sich in dem neuen Album von Andris Nelsons glänzend. Die erwartungsvoll-mystische Atmosphäre des Wagner-Vorspiels wird von Nelsons großartig dargestellt.
Der Dirigent lässt sich viel Zeit, baut die Spannung allmählich auf und lässt schließlich eine explosionsartige Entladung folgen, bevor es wieder still wird und sich vor dem inneren Auge unermessliche Landschaften auftun. Dass man aufbrechen muss, dass man eine lange Wanderung vor sich hat, wenn man den Gral finden möchte, jenen geheimnisvollen Schatz, um den Wagners Oper kreist – das nimmt man Nelsons’ Interpretation in jedem Augenblick ab. Bruckner hat sich von den geheimnisträchtigen Stimmungen Wagners einiges abgeschaut.
Auch seine Sinfonie Nr. 4 verströmt eine erwartungsvolle Sehnsucht, eine Grundspannung, die sich mal kräftig entlädt, mal in sanften Wogen allmählich ausklingt. Überwältigend ist der Melodienreichtum dieser Sinfonie, den das Gewandhausorchester hörbar genießt. Aber auch die erstaunliche Modernität, das kantige und schroffe Moment Bruckners, ist glänzend in den fortwährend glühenden Ton des Orchesters integriert.
Er führt sanfte und schroffe, lyrische und dramatische Momente organisch zusammen. Zum 275. Geburtstag, den der mit Bruckner und Wagner tief verbundene Klangkörper in diesem Jahr feiert, ein triumphales Signal. Nelsons wird es romantisch angehen, aber seine Berufung von Jörg Widmann als erstem Gewandhauskomponisten untermauert, dass man in Leipzig auch nach vorne schaut. Widmann ist heute das, was Bruckner zu seiner Zeit war, ein Visionär, reich an Ideen und mit einem unbändigen Ausdrucksverlangen.
Am 11. März, dem offiziellen Festkonzert zum 275. Geburtstags des Gewandhausorchesters, wird Nelsons dann Bruckners Sinfonie Nr. 7 dirigieren. Auch diese wird als Teil des Zyklus auf Deutsche Grammophon veröffentlicht und erscheint gleich im April 2018.