Die “Winterreise” von Franz Schubert ist eines der größten Meisterwerke unter den Liederzyklen und unzählige Male schon wurde sie interpretiert. Nun ist mit dem Album von Andrè Schuen und Daniel Heide eine weitere Einspielung dieses besonderen Werks erschienen, die faszinierend neue und kaum gehörte Nuancen der berühmten Lieder herausarbeitet. Das Album wurde digital und auf CD am 17. Mai bei Deutsche Grammophon veröffentlicht.
Schon viele Jahre arbeiten die beiden Künstler Andrè Schuen und Daniel Heide eng zusammen und haben sich dabei besonders intensiv mit dem Werk von Franz Schubert und speziell dessen späten Liedern beschäftigt. Beeindruckende Zeugnisse ihrer Auseinandersetzung sind die beiden bereits bei Deutsche Grammophon erschienenen Alben, 2021 die gefeierte Einspielung von Schuberts “Die schöne Müllerin” sowie 2022 die Aufnahme von Schuberts “Schwanengesang”, für die Schuen 2023 in der Kategorie “Gesang solo” mit einem OPUS KLASSIK geehrt wurde. Die Interpretation der “Winterreise” war vor diesem Hintergrund nur schlüssig, zumal der Bariton und der Pianist in zahlreichen gemeinsamen Konzerten zu einer ausgesprochen freien und intuitiven Ausdeutung des Werks gefunden haben. So sagt Schuen: “In früheren Jahren, mit noch weniger Erfahrung, habe ich wohl auch versucht, die Route vorher festzulegen und genau zu planen, wie ich diese oder jene Stelle gestalten will. Heute erlebe ich diesen Zyklus viel stärker aus dem Moment: bereit für all das Überraschende und Ungeahnte, das sich auf dieser Reise auftun kann.” Diese Offenheit haben sich die Interpreten auch bei ihrer Aufnahme bewahrt, die im Markus-Sittikus-Saal in Hohenems entstanden ist.
Andrè Schuens Erfahrung nach ist die “Winterreise” “das erste Werk, das einem einfällt, wenn man über Lied spricht” – und das mit gutem Grund so. Schließlich zeigt sich Schubert als Liedkomponist hier in einzigartiger Perfektion und lässt Text und Ton eindringlich und berührend miteinander verschmelzen. Schon für “Die schöne Müllerin” hatten den Komponisten die Texte von Wilhelm Müller inspiriert und auch für die “Winterreise”, die letztlich ein Jahr vor seinem eigenen Tod entstand, griff Schubert auf Texte Müllers zurück. Das zentrale Thema des Zyklus ist der Liebeskummer eines einsamen Mannes, der sich in einer eisigen Winternacht davon stiehlt und nur noch von seinem eigenen Schatten begleitet wird. Die Natur wird in den 24 Liedern zum Spiegel seiner Gefühle und “kalt und wild” wie der Winter fühlt sich auch der verzweifelte Liebende. Dabei gibt es laut dem Sänger “Bilder, in denen die Zeit komplett stehen zu bleiben scheint, Seelenzustände im Einklang mit der erstarrten winterlichen Natur“ ebenso wie Lieder, die „weiter und immer weiter treiben”. Ganz am Ende richtet der Protagonist seine Fragen an einen rätselhaften “Leiermann” – aus Sicht von Andrè Schuen “eine Figur für den Tod” selbst.
Wie feinsinnig, intim und farbenreich Schuen und Heide die “Winterreise” ausdeuten, ist tief berührend. Im innigen Zusammenspiel arbeiten die Musiker die Spannbreite der menschlichen Emotionen mal lyrisch, mal hoch dramatisch heraus und offenbaren die “Winterreise” als Werk voller Sehnsucht. Während Schuen mit seinem warmen, dunklen Bariton kleinste Schattierungen zum Leben erweckt, wird er von Daniel Heide am Klavier sensibel und ebenbürtig begleitet.
Wie bewegend und kraftvoll die Aufnahme auf dem Album geworden ist, unterstreicht auch die Tatsache, dass sie zur klanglichen Vorlage für die Schaffung eines Animations-/Live-Action-Films der Autorin und Regisseurin Alex Helfrecht mit dem Titel “A Winter’s Journey” wurde. In den Hauptrollen des Films brillieren John Malkovich, Marcin Czarnik, Gabriella Moran, Martina Gedeck, Jason Isaacs und Ólafur Darri Ólafsson, wobei die Schauspieler zunächst gefilmt und anschließend jede einzelne Aufnahme übermalt wurde, wodurch atemberaubende Landschaften kreiert wurden. Zusammen mit Schuens und Heides Einspielung der “Winterreise” als Soundtrack entsteht ein prachtvolles Gesamtkunstwerk.