Als viertes von sechs Kindern wuchs Sergey Rachmaninov auf einem Landgut in der Nähe von Nowgorod auf, zog dann aber nach St.Petersburg, nachdem das Familienvermögen dem Vater durch die Finger geronnen war. Es waren schwere Zeiten, in denen der Junge ersten professionellen Klavierunterricht bekam. Begabt am Instrument, aber faul in der Theorie, flog er allerdings vom Konservatorium der Stadt und schaffte es erst über seinen Cousin, in Moskau an der Hochschule unterzukommen.
Dort gelang es ihm, sich als Pianist ein gewisses Renommée zu erspielen, das mit der Veröffentlichung seiner 1.Klavierkonzerts 1893 und seiner einaktigen, als Prüfungsaufgabe erarbeiteten Oper “Aleko” in Begeisterung umschlug. Von da an ging es mit dem Newcomer bergauf, in Schlangenlinien, immer wieder gebeutelt von persönlichen und politischen Krisen, hinterfragt von latentem Skeptizismus, aber letztlich doch zielstrebig an die Spitze der spätromantischen Komponisten.
Lebenslange Faszination
Vladimir Ashkenazy lernte Rachmaninov nicht mehr persönlich kennen, denn als der Komponist 1943 starb, war der Junge aus Gorki erst sechs Jahre alt. Fasziniert aber war er schon bald von dessen pathetisch emotionalen Klavierwerken. Als Absolvent des Moskauer Konservatoriums gewann Ashkenazy 1955 den angesehenen Chopin-Wettbewerb in Warschau und etablierte sich schnell als großer Pianist (und später auch Dirigent) seiner Generation. Und als er 1963 für die Decca sein erstes Album aufnahm, gehörten Rachmaninovs 3.Klavierkonzert und einige Études-tableaux wie selbstverständlich zum Programm.
Seitdem kehr Vladimir Ashkenazy, der zu den produktivsten und spielfreudigsten Pianisten seiner Generation zählt, regelmäßig zu den Werken seines einstigen Landsmanns zurück (Heute hat Ashkenazy die isländische Staatsbürgerschaft und lebt zumeist in der Schweiz). Deshalb war es ihm auch ein besonderes Vergnügen, im vergangenen Frühjahr kurz vor seinem 75. Geburtstag sein 50.Jubiläum der Zusammenarbeit mit dem Decca-Label mit einem Recital zu feiern, das sich überwiegend den raren, zum Teil kaum bekannten Frühwerken Rachmaninovs widmet.
Jugendliche Raritäten
Manchmal fühlt man sich an Tschaikowsky erinnert. Kein Wunder, denn der russische Nationalkomponist gehörte zu den großen Vorbildern des jungen Rachmaninov und Stücke wie die Morceaux de salon ließen sich klar von der großen romantischen Geste der Zeit beeinflussen. Andere Werke wie der Kanon oder die Fuge in d-moll stammen aus Rachmanonivs Studentenzeiten um 1890, die Romance entstand wenig später, ebenso wie das Prélude und die Mélodie, wohingegen das Morceau de fantaisie und die Fughetta in eine Phase fielen, als er nach der Ablehnung seiner 1.Sinfonie von Selbstzweifeln geplagt war. Kurz vor seine Flucht vor der Russischen Revolution wiederum schrieb er 1917 noch die Orientalische Skizze, die daraufhin zu einem Exil-Gepäck gehörte.
Vladimir Ashkenazy nun baut dieses Programm der Fundstücke und zum Teil erstmals aufgenommenen Raritäten zu einem großen Bogen zusammen, der von der Jugend des Komponisten bis hin zu Nunc dimittis, einer Bearbeitung aus der Vesper “Das große Abend- und Morgenlob”, op. 37, einer Chorkomposition aus den 1910er Jahren reicht. „Ich bin dem Schicksal dankbar,“ meint Ashkenazy dazu im Booklet des Albums. „dass ich die Gesamtaufnahme von Rachmaninovs Klavierwerken beenden kann, und meine, dass dieses Stück ein angemessener Abschluss für die CD ist.” Und für ein pianistisches Projekt, dass über ein halbes Jahrhundert hinweg einen famosen Pianisten mit einem grandiosen Komponisten zusammen geführt hat.