In Ludwig van Beethovens Werk erstreckt sich die unendliche Spanne der menschlichen Gefühlswelt so deutlich wie bei wenigen anderen. Seine neun Sinfonien stellen nicht nur kompositionstechnisch den Kern seines Schaffens und in ihrer Außergewöhnlichkeit ein musikalisches Welterbe der Menschheit dar. Auch hinsichtlich ihres emotionalen Ausdrucks faltet sich hier das gesamte sinnlich-emotionale Spektrum der menschlichen Existenz auf, spiegelt sich wieder in einem Kompendium von instrumentalen Klangfarben, harmonischen wie melodischen Linien, rhythmischen wie strukturellen Schichten.
Als Kind der Aufklärung und Zeitgenosse der Französischen Revolution waren viele dieser scheinbaren Affekte untrennbar verbunden und ausgelöst von der leidenschaftlichen Auseinandersetzung des Komponisten auf den großen geistesgeschichtlichen Schlachtfeldern seiner Zeit. Die Entwicklung eines neuen Menschenbildes, die Forderung nach Menschenrechten, nach individueller Entwicklungs- und Geistesfreiheit.
Kontrastiert werden diese vorwärtsgewandten dynamischen Gefühle oft durch tief empfundene Schicksalschläge im Privaten, darunter ist die im Laufe seines Lebens zunehmende und für die letzten Jahre seines Lebens schließlich vollständigen Taubheit sicherlich der Bekannteste.
Trotzdem, die schiere Lust an der Freiheit, das Gefühl des beflügelten Ausdrucks in eine neue, bessere Zeit, ist in vielen seiner Werke spürbar: prototypisch dafür ist sicherlich der vierten Satz seiner 9. Sinfonie mit seiner “Ode an die Freude”, einem regelrechten Feuerwerk der Entfesselung, in dem Beethoven auf Basis von Schillers berühmtem Text eine versöhnliche Menschheitsvision entwickelt.
Beethovens Sinfonien stellen jeden Dirigenten vor eine Herausforderung, unzählige Einspielungen existieren von den jeweiligen Pultgrößen ihrer Zeit, die der Welt ihre Interpretation dieser Essenz der sinfonischen Klassik offerierten. Dabei muss sich jede Generation mit den Hörgewohnheiten der jeweiligen Gegenwart auseinandersetzen.
Nun hat sich der umjubelte Lette Andris Nelsons dem Projekt verschrieben, Beethovens sinfonischen Klang, seine Vision dieser im wahrsten Sinne des Wortes zeitlosen Werke für’s 21. Jahrhundert zu entfalten.
Der Stardirigent hat sich als begnadeter Sinfoniker bewährt. Sein Grammy-gekrönter Schostakowitsch-Zyklus mit dem Boston Symphony Orchestra und seine gefeierte Interpretation von Bruckners Sinfonien mit dem Gewandhausorchester Leipzig bilden nur den vorläufigen Höhepunkt seiner um klangliche Vollkommenheit und nachvollziehbare Spannungsbögen bemühten Interpretationskunst. Auch mit Beethoven konnte Andris Nelsons bereits Erfolge feiern. So löste sein Sinfonien-Zyklus 2013/14 mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra ein begeistertes Presse-Echo aus.
Mit umso größerer Spannung wird seine jüngste Aufnahme aller neun Beethoven-Sinfonien mit den Wiener Philharmonikern erwartet. Der legendäre Klangkörper, dessen Anfänge bis in die Beethoven-Zeit zurückreichen, hat Beethoven gewissermaßen als Teil seiner musikalischen DNA. Die Stadt Wien hatte für Beethoven eine identitätsstiftende Bedeutung, wurde er doch im damals aufblühenden Kulturmittelpunkt Europas musikalisch groß.
“Beethoven verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in dieser Stadt”, so Andris Nelsons, “seine Symphonien wurden dort uraufgeführt.” Deshalb gehört Beethoven einfach nach Wien, wo Andris Nelsons dem unnachahmlichen Geschmack der wegweisenden Sinfonien des kompositorischen Titanen kongenial nachgespürt hat. Der Zyklus des lettischen Stardirigenten atmet den Geist der sinnlichen Fülle und Großzügigkeit Wiens. Nelsons weiß den volltönenden Klang der Wiener Philharmoniker geschickt zu nutzen. Er federt Beethovens Dramatik weich ab, ohne sie dadurch ihrer Wucht zu berauben. Von den Wiener Philharmonikern sagt Nelsons, dass sie vor dem Hintergrund ihrer Orchestergeschichte instinktiv um die Essenz dessen, was Beethoven ausmacht, wissen, so dass Fragen nach interpretatorischer Authentizität sich erübrigen.
Die Poesie der gewaltigen Orchesterwerke tritt ungewöhnlich schillernd zum Vorschein. Das gilt für alle Sinfonien des Zyklus, ob für die vorwärtsdrängende dritte oder fünfte, die lyrische sechste, die tänzerische siebte oder die frenetische Neunte. Selten hat man die Schönheit von Beethovens Klangsprache in so feinen Farbschattierungen und so zartfühlend nachempfunden erlebt.
Nelsons' Beethoven-Zyklus erscheint in einem Deluxe-Hardcover Buch mit fünf CDs und einer Blu-ray Audio Disc in TrueHD-Klangqualität. Der hochwertigen Edition liegt ein unterhaltsames Booklet mit ausührlichem Bildmaterial und einem hochinformativen Essay des amerikanischen Komponisten und Autors Jan Swafford bei. Die Veröffentlichung der edlen Ausgabe markiert den Beginn der DG-Feiern zu Beethovens 250. Geburtstag im kommenden Jahr.