In Europa ist William Steinberg bislang nur einer Minderheit von Fachleuten bekannt. Hauptgrund hierfür dürfte seine tragische Biographie sein. Der 1899 in Köln geborene Dirigent begann seine Laufbahn unter dem Namen Hans Wilhelm Steinberg in Deutschland. Nach Stationen an der Kölner Oper und am Deutschen Landestheater Prag schaffte er im Jahre 1929 den Sprung auf den begehrten Posten des Generalmusikdirektors der Frankfurter Oper. Seit 1933 sah er sich als Jude den Repressalien der Nationalsozialisten ausgeliefert und verließ Deutschland im Jahre 1936. Nach einem Zwischenstopp in Israel, wo er das heute unter dem Namen Israel Philharmonic Orchestra bekannte Symphonieorchester Palästinas gründete, gelangte er im Jahre 1938 in die USA, wohin ihn der italienische Stardirigent Arturo Toscanini gelockt hatte.
In den Staaten legte er als Dirigent des Pittsburgh Symphony Orchestra, des Boston Symphony Orchestra und anderer Klangkörper von Weltrang eine glänzende Karriere hin und profilierte sich mit einem bewusst zurückhaltenden Stil. Steinberg rückte den Komponisten und sein Werk ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Auf persönliche Extravaganzen verzichtete er.
Dieser ganz der Musik verpflichtete Habitus, ohne jede Starallüre, ohne große Gesten, war ihm schon von seiner Mutter mit auf den Weg gegeben worden, die zu ihm gesagt haben soll: “Ich hoffe, dass die Leute nie sagen müssen, Du trägst maßgeschneiderte Kleidung.” Sein vergleichsweise spröder, unspektakulärer Auftritt mag indes auch dazu beigetragen haben, dass sein internationaler Ruhm begrenzt blieb, spielten doch bei der weltweiten Popularisierung eines Künstlers bereits im 20. Jahrhundert starke Bilder eine maßgebliche Rolle. Musikalisch bewährte sich Steinbergs ruhiger Stil, der farblich fein abgestimmte Klanggemälde von überwältigender Schönheit entstehen ließ, dagegen umso kraftvoller. Steinberg “musiziert in einer ruhigen, logischen, wohlproportionierten Manier”, so der berühmte US-amerikanische Musikkritiker Harold C. Schonberg über den feinsinnigen Dirigenten, dessen lyrische Sensibilität er schätzte.
Als Geheimtipp gilt seit jeher Steinbergs Beethoven-Zyklus mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra, einer der angesehensten Klangkörper der USA, der die hochkomplexen Sinfonien des Wiener Klassikers in den schönsten Farben erstrahlen ließ. Aufgenommen im Zeitraum 1962–1965, profitiert die Einspielung maßgeblich von der Expertise des legendären Toningenieurs C. Robert Fines, der Steinbergs Aufnahmeprojekt mit dem US-amerikanischen Label Command Classics technisch begleitete und den Sound des Orchesters frappierend genau nachzeichnete. Fine arbeitete mit 35mm-Filmstreifen. Er nutzte die Breite des innovativen Formats, um mehrspurige Aufnahmen anzufertigen, ein Verfahren, das die einzelnen Instrumente oder Instrumentengruppen besonders trennscharf zur Geltung bringt, so dass man im heimischen Wohnzimmer tatsächlich den Eindruck gewinnt, im Konzertsaal zu sitzen. Hörbar gut tut Beethovens Sinfonien, deren dramatische Wucht bei William Steinberg nie auf Kosten der harmonischen Feinheiten geht, dabei die großzügige Akustik der legendären “Soldiers & Sailors Memorial Hall” in Pittsburgh.
Kurz: Für audiophile Gourmets und Liebhaber moderner Beethoven-Interpretationen ist der Zyklus, der jetzt pünktlich zum Beethoven-Jahr 2020 erstmals auf CD und in digitaler Gestalt erscheint, absolut unverzichtbar. Die Edition der Deutschen Grammophon enthält fünf CDs. Beigefügt ist ihr ein Booklet mit einem reizvollen Artikel von Richard Evidon, der ebenso unterhaltsam wie kenntnisreich über die Person William Steinbergs und dessen Beethoven-Zyklus informiert.