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Hector Berlioz
Hector Berlioz

Der Vordenker

23.05.2003

Heute gilt Hector Berlioz als einer der großen Komponisten der Romantik und Vordenker der Programmmusik, als Inspiration für nachfolgende Generationen. Seine Zeitgenossen waren sich darin nicht so einig. Statt umfassender Würdigung musste er mit zuweilen harscher Ablehnung zurecht kommen. Denn Berlioz wollte sich nicht an die Regeln halten und komponierte, wie ihm der Sinn stand. Das war im Kern revolutionär und sicherte ihm den Platz in der Ruhmeshalle der Musikgeschichte.

Auf die Urteile der Kritik ist nicht immer Verlass. Sie sind wankelmütig, unterliegen Moden und den Geschmäckern der Rezensenten. Hätte Hector Berlioz geglaubt, was im Winter 1832 ein Schreiberling anlässlich der Aufführung seiner “Symphonie Fantastique” am Pariser Conservatoire verfasste, dann wäre ihm wohlmöglich der Erfolg zu Kopf gestiegen. Da konnte man lesen: “Vor diesem Konzert am letzten Sonntag war Monsieur Berlioz nur ein hervorragender Komponist; heute ist er unsere musikalische Gloire. Niemals hat der Saal des Conservatoire einmütigeren und verdienteren Beifall gehört”. Das war schön, doch kaufen konnte sich der Szeneneuling dafür nichts. Die Meinung des Establishments bekam er wenige Jahre später zu spüren. Anstatt ihm die Stelle eines Kompositionslehrers zu übertragen – worauf er von jeher gehofft hatte – machte ihn das Conservatoire 1839 zum Konservator der Bibliothek, elf Jahre später dann zu Bibliothekar, was er bis zu seinem Tod 1869 blieb.

 

Trotz dieser eindeutigen Zeichen ließ sich Berlioz nicht entmutigen und schreib weiter Orchesterwerke, Opern, Geistliches, außerdem theoretische Werke und zahlreiche Kritiken und Essays. Seine Welt war die Musik, er hatte sich gegen den Willen seines Vaters dafür entschieden und wollte dabei bleiben. Denn am 11. Dezember 1803 im Städtchen La Côté-St-André (Isère) als Sohn eines Arztes geboren, sollte er ursprünglich Mediziner werden. Er schlug aber das Studium aus, wählte die unsichere Zukunft als Musiker, Komponist und brachte sich zunächst als Chorist am Théâtre de Nouveautés durch. Berlioz erwies sich als begabt, bekam 1830 den renommierten Rompreis verliehen und konnte auf diese Weise 18 Monate in Italien studieren. Während dieser Zeit konkretisierte er seine Idee der Programmmusik, die er bereits mit der “Symphonie Fantastique” als verklausuliertem Abbild der eigenen Künstlerbiographie formuliert hatte. Damit passte er nicht in das Schema des nachnapoléonischen Akademismus und auch die zur Akzeptanz durch das Bürgertum nötigen Opern wollten sich bis auf “Les Troyens” nicht recht ins übliche Muster fügen.

 

Überhaupt experimentierte Berlioz viel mit den Möglichkeiten des Orchesters, erweiterte die Instrumentierung und legte besonderen Wert auf die kontrastreiche Entwicklung von Klangfarben. Seine rhythmischen Vorstellungen, die räumlichen und methodischen Vorstellungen von Gestaltung verabschiedeten sich radikal von der Strenge der Schulklassik. Seine “Abhandlung über Instrumentation und Orchestrierung” wurde gar zum Standardwerk der Musiktheorie und ist bis heute grundlegend. Außerhalb Frankreichs fand Berlioz damit reichlich Anerkennung. Konzertreisen und Auftragswerke wie “Harold in Italien”, für das ihm Niccolò Paganini das stattliche Honorar von 20 000 Franken gezahlt hatte, ermöglichten ihm zumindest ein weitgehend sorgenfreies Leben, wenn auch die Akzeptanz in seiner Heimat erst Jahrzehnte nach seinem Tod einsetzte. Immerhin, es ging ihm damit noch wesentlich besser vielen seiner Berufsgenossen.

 

Berlioz probierte viel, aber er komponierte nicht im Überfluss. Im Laufe der Jahre entstanden vier Symphonien, drei Opern, mehrere Ouvertüren, große Chor- und Orchesterwerke wie das “Requiem” und “Die Kindheit Jesu”, eine Orchestermesse, einige Kantaten. Manches hatte er später verbrannt, als ihm die Jugendwerke zu banal vorkamen. Und so passt sein Gesamtwerk, das zum 200jährigen Geburtstagsjubiläum bei Philips erscheint, in drei zu einem Schuber zusammengefasste, auch einzeln erhältliche Boxen mit Orchesterwerken, Geistlichen Werken und den Opern. Die Aufnahmen stammen aus den vergangenen drei Jahrzehnten und entstanden mit Orchester wie den Londoner Symphonikern, dem Orchester des Covent Gardens oder dem Royal Concertgebouw Orchestra unter der Leitung von Sir Colin Davis. Die Liste der beteiligten Solisten ist lang und umfasst renommierte Vokalisten wie Sheila Armstrong, Janet Baker, Thomas Allen oder Nicolai Gedda. Die Einspielungen sind mehrfach preisgekrönt und dokumentieren mit cleverer Nachhaltigkeit, welche Bedeutung Berlioz noch immer für die klassische Musikszene hat.

 

Brandneu ist außerdem die Aufnahme der “Symphonie Fantastique” und der lyrischen Szene “Herminie”, die der französische Dirigent Marc Minkowski gemeinsam mit dem Mahler Kammer-Orchester, den Musiciens du Louvre und der Sopranistin Aurélia Legay verwirklicht hat. Einmal mehr wird anhand der beiden Jugendwerke des Komponisten deutlich, wie vielgestaltig und überraschend die schillernder Klangwelt des Unkonventionalisten bis heute auf Musiker und Publikum wirken kann. Denn auch wenn die Herren Professoren des Conservatoire einst die Nase rümpften, die Nachwelt hat sie längst vergessen. Im Unterschied zu Hector Berlioz.

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