Menschen mit einem Hang zum Mystischen mögen darin eine göttliche Fügung sehen, weltlichere Zeitgenossen eher einen Zufall: Just als der estnische Komponist Arvo Pärt sich für eine neue Sinfonie intensiv mit Texten zum Thema Schutzengel auseinandersetzte, trat die Stadt Los Angeles – die wegen der spanischen Bedeutung des Stadtnamens auch als die “Stadt der Engel” bekannt ist – mit einem Kompositionsauftrag an ihn heran. Dies bestärkte den Komponisten darin, den “Kanon der Schutzengel”, an dem er gerade arbeitete, zur Grundlage seiner neuen “Sinfonie No. 4” zu machen. Das 2008 komponierte Opus, das den Nebentitel “Los Angeles” erhielt, wurde im Januar des darauffolgenden Jahres mit dem Los Angeles Philharmonic Orchestra unter Leitung von Esa-Pekka Salonen uraufgeführt. Rechtzeitig zum 75. Geburtstag Pärts am 11. September 2010 erscheint die Ersteinspielung nun in der ECM New Series auf CD. Parallel dazu wird auch Pärts ECM-Debüt “Tabula Rasa” in einer Sonderedition mit Manuskript-Faksimiles und Studienpartituren der Stücke neu aufgelegt. Mit “Tabula Rasa” gelang Pärt 1984 sein internationaler Durchbruch.
Als Arvo Pärt den Kanon zum Ausgangspunkt seiner 4. Sinfonie machte, gestattete er dem Geist der kirchenslawischen Dichtung den musikalischen Stoff einzufärben, so wie er es schon Mitte der 90er Jahre in seinem “Kanon Pokajanen” getan hatte. “Für mich bilden die beiden Werke eine stilistische Einheit und gehören zusammen”, meint Arvo Pärt. “Ich wollte den Worten Gelegenheit geben, ihren eigenen Klang zu wählen. Das Resultat, das selbst mich überraschte, war ein Stück, das vollkommen von der besonderen slawischen Diktion durchdrungen ist, die man nur in liturgischen Texten findet. Der Kanon zeigte mir deutlich, wie stark die Wahl einer Sprache den Charakter eines Werkes vorherbestimmt.” So ist es nur schlüssig, die neue “Sinfonie No. 4” mit einer Neuedition des “Kanon Pokajanen” – die Pärt selbst als “Fragmente” bezeichnet – zu kombinieren. Zusammen ergeben sie eine himmlische Sinfonie für die Stadt der Engel.