Der Meister konnte durchaus ungehalten sein, denn Vladimir Horowitz nahm Konzerte ernster, als es der Eindruck eines über alle Fragen des Technischen erhabenen Künstlers zu erwecken schien. Seinem Biographen Harold C. Schonberg erzählte er einmal: „Die Tragödie des Künstlers ist wie in ‘Pagliacci’. Man muss zu einer ganz bestimmten Zeit inspiriert sein, spielen wollen und in Form sein. Vielleicht habe ich ja um vier – gerade um vier – zufällig Magenschmerzen. Ich versuche also, sehr ruhig zu sein. Niemand darf mich stören, und wenn mich einer stört, bekommt er Ärger, wie er ihn noch nie erlebt hat“. Denn auch Genialität fußt in der Realität, obwohl der 1904 in Kiew geborene Pianist so wirkte, als flöge ihm die Musik nur so zu. Für ihn schien es kaum gestalterische Grenzen zu geben. Bereits als junger Mann wurde er am Konservatorium von St. Petersburg mit allen nur erdenklichen Preisen seines Fachs ausgezeichnet und als er 1926 vor der zunehmenden Verrohung in seiner nun kommunistisch geprägten Heimat in den Westen zog, setzte alsbald eine internationale Karriere ein, die ihn an die Spitze der Interpretenriege katapultiert.
Je mehr Erfolg er hatte, desto häufiger zog sich Vladimir Horowitz auch wieder aus der Öffentlichkeit zurück, manchmal sogar für Jahre. In seiner letzten künstlerischen Dekade wandte er sich schließlich der Deutschen Grammophon zu und verwirklichte zwischen Frühjahr 1985 und Frühjahr 1989 eine Reihe später Aufnahmen, die allesamt mit Preisen überhäuft wurden. Sie füllten immerhin sieben CDs, die nun unter dem Titel „Vladimir Horowitz – The Complete Recordings on Deutsche Grammophon“ in einer Box zusammengefasst und neu ediert wurden. Zu diesen historischen Dokumenten der Klaviergeschichte gehören beispielsweise Horowitz’ erste Studioaufnahme nach über zehn Jahren Pause, die 1985 entstand.
„Horowitz In Moscow“ führte den Genius im Jahr darauf zurück in die russische Hauptstadt, in der er seit 61 Jahren nicht mehr gespielt hatte. „Horowitz Plays Mozart“ ist eine Rarität in der Diskografie des Künstlers, denn es enthält in Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Carlo Maria Giulini nicht nur die einzige Aufnahme eines Klavierkonzertes von Mozart, die Horowitz je verwirklicht hat, sondern darüber hinaus auch drei Bonus-Stücke, die bislang nur in der vergriffenen Box „The Magic Of Horowitz“ erhältlich waren. „Horowitz The Poet“ wiederum präsentiert den Pianisten als reflektierten und zugleich impulsiven Interpreten von Kompositionen von Franz Schubert und Robert Schumann. Und den Höhepunkt und Abschluss der Edition bildet „Horowitz In Hamburg“, das Dokument des letzten öffentlichen Auftritts des großen Pianisten am 21.Juni 1987. Sorgfältig nach neuesten Klang-Maßstäben der Studiotechnik ediert und mit einem umfassenden Booklet versehen, ist auf diese Weise eine Box entstanden, die noch manchem Fan der Klavierkunst ein glückliches Lächeln ins Gesicht zaubern wird.