Man muss sich das einmal vorstellen: Während der Vater das Feld bestellte und auf seinem Traktor mit schallender Tenor-Stimme sang, übte der junge John Eliot Gardiner Motetten von Johann Sebastian Bach. Unter den Augen ihres Schöpfers sozusagen, denn das Original des berühmten Bach-Porträts von Elias Haußmann war während des Krieges durch Zufall ins Haus der Gardiners gelangt. „Musik ist der Stoff, aus dem meine Kindheit gemacht ist; sie war einfach immer da“, antwortet Gardiner auf die Frage, wie sehr die eigene Herkunft seine musikalische Karriere beeinflusste. Doch so naheliegend der Weg in die Musikwelt für Gardiner auch schien, so geradlinig er ihn hätte gehen können, widmete er sich zunächst seiner zweiten Passion. Er studierte Geschichte und Arabistik in Cambridge. Parallel gründete er den heute weltberühmten „Monteverdi Choir“, um Monteverdis Marienvesper aufzuführen.
Historiker und Musiker
Heute gehört John Eliot Gardiner zu den bedeutendsten Interpreten der Alten Musik. Ob Monteverdi, Händel oder Bach, vor allem seine Leidenschaft für Sakral- und Chormusik wuchs beständig seit seiner Jugend. Und doch ist Gardiner weit davon entfernt, diese Werke einzig als musikgeschichtliche Relikte zu betrachten. Er behandelt sie aus der Sicht eines Historikers, jedoch mit der Liebe eines aktiven Musikers. Vielleicht resultiert hieraus der für Gardiner so grundlegend wichtige Ansatz, Musikgeschichte als großes Kontinuum zu begreifen. So scheint es, als suche er kontinuierlich nach Verbindungen zwischen Komponisten wie Schütz, Mozart, Bach, Schumann und Beethoven: „Ich fühle mich häufig von jenen Komponisten und Werken angezogen, bei denen ich spüre, wie sie die Essenz der Vergangenheit aufgesogen haben und schließlich in ihre eigene Gegenwart transformierten.“ Gardiner blieb dabei stets ein Vorreiter der historischen Aufführungspraxis. Im Jahr 1977 gründete er das Orchester „English Baroque Soloists“, welches nur mit historischen Instrumenten arbeitet, und seit der Aufführung von Händels „Acis und Galatea“ beim Innsbrucker Festival für Alte Musik internationale Anerkennung genießt. 1990 hob Gardiner zudem das auf die Epochen der Romantik und der Klassik zugeschnittene „Orchestre Révolutionnaire et Romantique“ aus der Taufe.
„Von Monteverdi bis Stravinsky“
Am 20. April feiert John Eliot Gardiner seinen 70. Geburtstag und kann somit auf eine fast 50-jährige Karriere als Dirigent zurückschauen. Faszinierend ist, welche Vielseitigkeit Gardiner bis heute beweist. So pendelt er mit seiner Arbeit unentwegt zwischen den musikalischen Epochen, zwischen historisch konzipierten und konventionellen Orchestern, zwischen Monteverdi und Weill. Diese unermüdliche Arbeit voller Neugier auf eine Musik „sans frontières“, wie Gardiner schwärmt, kann jetzt durch einen musikalischen Querschnitt seiner wichtigsten Arbeiten nachempfunden werden. Deutsche Grammophon veröffentlicht mit „Von Monteverdi bis Stravinski“ eine streng limitierte Edition, für die Gardiner persönlich die Auswahl der Aufnahmen traf – allesamt Glanzpunkte seiner bisherigen Karriere. Wer sich die beeindruckende Bandbreite an Werken und Komponisten auf diesen 30 CDs zu Gemüte führt, bekommt eine Ahnung von der unglaublichen Energie, mit der John Eliot Gardiner seit nunmehr einem halben Jahrhundert die Musikgeschichte immer wieder neu interpretiert.