Die Kombination hat sich bewährt. Joseph Haydn hat in Sir John Eliot Gardiner einen Interpreten gefunden, der mit dem nötigen Ernst und der fachlichen Kompetenz seinen geistlichen Werken nachzuspüren vermag. “Seine Darbietungen haben eine bewegende Stärke und Energie. Die Solisten sind ausgezeichnet. An keiner Stelle zweifelt man an Haydns wahrer Größe”, urteilte die BBC über Gardiners Messen-Projekt. Jetzt sind die “6 Great Messes” im Rahmen einer 3 CD-Box erschienen.
Joseph Haydn hatte einen guten Job. Seit drei Jahrzehnten bereits war er der Fürstenfamilie Esterhazy verpflichtet und er blieb es auch, als er eigentlich nicht mehr in der österreichischen Abgeschiedenheit (und wahlweise in Wien) hätte leben müssen. Mitte der 1790er Jahre war der Komponist endgültig zum Star des Londoner Musiklebens aufgestiegen, führte regelmäßig neue Symphonien auf und wurde vermögend (“Man kann nur in England solche Summen verdienen”, schrieb er an einen Freund). Trotzdem zog es ihn zurück in die alte Heimat, an seine Stelle bei den Esterhazys. Es hatte durchaus auch Vorteile, nicht in der Hektik der englischen Hauptstadt leben zu müssen. Denn der jüngste Fürst Esterhazy, der im Unterschied zu seinen Vorgängern mehr an den bildenden Künsten als an Musik interessiert war, beauftragt Haydn in der Regel lediglich mit einer Messe pro Jahr, die am Namenstag seiner Frau Maria Hermenegild aufgeführt wurde. Der Komponist nützte diese weitgehende künstlerische Freiheit, um an geistlichen Werken und seinen beiden Oratorien “Die Schöpfung” und “Die Jahreszeiten” zu arbeiten. Um 1800 ließ die Schaffenskraft langsam nach. Haydn blieb in Wien kümmerte sich um einige wenige Werke, sein Privatleben (nach dem Tod seiner Frau heiratete er seine langjährige Geliebte) und starb schließlich am 31. Mai 1809 als der wohl bekannteste österreichische Komponist seiner Generation.
Die “Heiligmesse” und die “Paukenmesse” gehören in die späte Phase der Haydnschen Komponiertätigkeit. Erstere wurde unter dem Titel “Missa Sancti Bernardi von Offida” am 11.September 1796 vertragsgemäß zum Namenstag der Fürstin aufgeführt. Die “Paukenmesse” hingegen entstand außer der Reihe wahrscheinlich im Auftrag von Joseph Franz von Hoffmann und wurde an der Wiener Piaristenkirche am 26. Dezember 1796 uraufgeführt. Beide Werke zeichnen sich bereits durch eine sehr freie und trotzdem der Form der liturgischen Aufführung gehorchende Durchführung aus, wie sie nur einem erfahrenen Komponisten wie Haydn ohne Qualitätseinbrüche von der Hand gehen konnte. Die Zeitgenossen störten sich zwar an einigen Stellen an der in ihrer Augen unpassenden Brillanz der Umsetzung. An der Meisterschaft der Werke an sich jedoch zweifelte kaum jemand.
Die “Nelsonmesse” wiederum entstand 1798. Ihren Namen erhielt sie erst zwei Jahre nach ihrer Fertigstellung, als sie zu Ehren des englischen Admirals Nelson, der die Esterházys in Eisenstadt besuchte, aufgeführt wurde. Der Charakter war aber trotzdem bereits von den Kriegszeiten der Revolutionsjahre geprägt. Im Juli und August 1798 innerhalb von 53 Tagen komponiert, musste sie mit der aus Sparsamkeitsgründen um die Blaskapelle verringerten Instrumentierung des Hofensembles auskommen. Haydn sah die Umbesetzung als Chance und fügte drei Trompeten und die Orgelstimme bei, die der Messe zu dem fanfarenartigen, zuweilen düsteren Gesamtcharakter verhalfen. Die “Theresienmesse” vom Folgejahr wiederum kam über die Kaiserin Maria Theresia zu ihrem Namen, die bei einer Aufführung an der Wiener Hofkapelle persönlich den Solosopran übernommen hatte. Im Sommer 1799 entstanden und wahrscheinlich am 8.September des Jahres in der Bergkirche von Eisenstadt uraufgeführt, zeichnete sie sich durch kammermusikalischeren, verhalteneren Charakter als die “Nelsonmesse” aus. Auch hier mit eingeschränkter Instrumentierung – Streicher, Klarinetten, zwei Trompeten und Pauken – gelang Haydn ein intimes Meisterstück spiritueller Versenkung, das den düsteren Erlebnissen des Kriegsalltags eine glänzende hoffnungsvolle Dimension entgegen setzte.
Alle vier Werke sind, ebenso wie die “Schöpfungsmesse” und die “Harmoniemesse”, Teil des Messenzyklus, den John Eliot Gardiner zusammen mit dem Monteverdi Choir und den English Baroque Solists bereits Ende der Neunziger begonnen hat. Und sie sind ein Beweis dafür, wie sehr sich gestalterische Sorgfalt und profunde Recherche für die Interpretation historischer Kompositionen auszahlt. Denn dem britischen Spezialisten für Alte Musik und seinen Ensembles gelingt es, die Intensität der geistlichen Werke mit einer Kraft und Deutlichkeit umzusetzen, dass auch mit langem zeitlichen Abstand klar wird, wie nachhaltig hier jemand mit den Mitteln der Kunst den Geist des Friedens, der Spiritualität und Menschlichkeit beschworen hat.