Als Giuseppe Verdi im Oktober 1813 auf die Welt kam, wurde der Tenor gerade neu erfunden. Denn bis hin zu Mozart waren vor allem die Kastraten die Stars der Opernbühne. Tenöre hatten in der Regel kleinere Partien, doch das änderte sich mit dem Belcanto und Komponisten wie Rossini und Donizetti. Von da an traten die emotional bewegten Herren mit zentralen Rollen in den Vordergrund und entwickelten ein neues und differenzierteres Stimmprofil. Als Verdi dann Ende der 1830er Jahre selbst mit ersten Werken wie dem Oberto auf sich aufmerksam machte, stellte er dem Titel-Bariton bereits den Grafen Riccardo als Tenor zur Seite, der zu den zentralen Handlungsträgern des Geschehens gehört.
„Die ewige Idee der menschlichen Seele“
Für Rolando Villazón ist die Musik von Giuseppe Verdi vor allem eine Herzensangelegenheit. „Wenn man Verdi interpretiert, bringt man Variationen auf die ewige Melodie der menschlichen Seele zu Gehör,“ meint der mexikanische Tenor und Weltstar der Oper. „Verdi war ein Mann des Volks, der für das Volk komponierte, er war ein Genie, verlor aber nie das Gespür für die tiefen Regungen des menschlichen Herzens. Es gab wohl keinen unprätentiöseren, bescheideneren Komponisten als Verdi. Für Verdi galt: ‘Eine Kunst, der es an Natürlichkeit und Schlichtheit mangelt, ist keine Kunst. Der Ausgangspunkt für jede Idee muss das Einfache sein.’“
Ein Reise durch die Zeit
Und das wiederum findet Rolando Villazón an allen Eckpunkten von Verdis Künstlerbiographie. Dabei ist es ihm wichtig, nicht nur die berühmten Arien, sondern auch Nebenlinien der Popularität zu verfolgen, die aber mindestens ebenso viel Schönheit in sich tragen. Villazóns Zeitreise entlang der Chronologie führt ihn von den frühen Verdi-Opern wie Oberto, I due Foscari, I Lombardi und Il Corsaro zu den großen Werken wie Rigoletto, La Traviata, Don Carlo und Falstaff. Sie bringt außerdem Lieder wie In solitaria Stanza oder L’Esule zu Gehör, die den Komponisten Luciano Berio so fasziniert haben, dass er sie für die Gegenwart im Sinne Verdis orchestriert hat. Auf diese Weise entsteht ein eben rundes wie vielschichtiges Programm, das durch wechselnde Perspektiven sich auf sehr unterschiedliche Weise dem Oeuvre nähert.
Ein brillantes Team
So sehr auf der einen Seite Rolando Villazóns strahlende Stimme und sein mitreißendes interpretatorisches Talent die Aufnahmen prägen, so sehr sind diese Vorzüge auch auf ein gutes Team angewiesen, das dem Tenor zur Seite steht. “Zusammen mit dem Orchester des Teatro Regio Torino und dem großartigen Gianandrea Noseda den unermesslichen musikalischen Ozean Verdis zu erkunden, die stillen blauen Tiefen, die gewaltigen Stürme, die zart gekräuselten Wellen und blutroten Sonnenuntergänge zu erleben, hat mir großen Spaß gemacht“, meint Villazón zu den Aufnahmen. „Hinzu kam das besondere Vergnügen, die musikalische Odysee in Begleitung meiner lieben Kollegin Mojca Erdmann unternehmen zu dürfen.“ Sein Ziel einer umfassenden und persönlichen Hommage an den Genius der Oper hat Rolando Villazón damit erreicht – und startet auf furiose Weise ins kommende Verdi-Jahr.