Das pianistische Schaffen von Ludwig van Beethoven gehört schon lange zum Zentrum von Maurizio Pollinis künstlerischer Auseinandersetzung. So spielte der Pianist aus Mailand beispielsweise 1987 in New York mit den Wiener Philharmonikern unter Claudio Abbado sämtliche Klavierkonzerte und erhielt bei dieser Gelegenheit den Ehrenring des Orchesters. In Berlin und München trat er 1993 und 1994 erstmals mit den kompletten Beethoven-Sonaten auf, ein Konzertmarathon, den er später auch in New York, an der Mailänder Scala, in Paris, London und Wien wiederholte. Denn noch immer gelten Beethovens Klaviersonaten als Bewährungsprobe großer Pianisten. Mit gutem Grund, schließlich begleiteten sie den künstlerischen Lebensweg des Komponisten über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg. Sie waren zum einen eine Spielwiese seiner gestalterischen Fähigkeiten, wo er quasi im kleinen mit Strukturmodellen experimentieren konnten. Sie entwickelten sich aber zugleich zu einem der Höhepunkte von Beethovens Klavierwerk überhaupt, denn mit ihnen perfektionierte er sowohl den Sonatenhauptsatz als auch den Sonatenzyklus als übergeordnetes Schema.
Großes Kino im Kleinen
Damit ist klar, warum sich auch Meisterpianisten weiterhin von diesen Werken herausgefordert fühlen. Es geht um die Beherrschung des großen Plans im kleinen Modell, letztlich um eine Übertragung sinfonischer Dichte auf das Medium Klavier. Das wiederum ist eine Spezialität des 71jährigen Maurizio Pollini, der als einer der vielseitigsten und erfahrensten Pianisten der Gegenwart gilt. Für ihn ist Beethoven ein Prüfstein der musikalischen Übersicht, dessen Klarheit er in den drei vorliegenden Sonaten aus den Jahren 1796–1800 detailgenau herausarbeitet. Pollini entlockt den Melodien mit der Strenge des aufmerksamen Beobachters die wesentlichen Momente. Er spielt mit dem Spannungsfeld der rhythmischen und kantablen Elemente, arbeitet die Verwandtschaften und die Verknüpfungen der motivischen Wurzeln der kontrastiv aufgebauten Themen heraus und erhält auf diesen Weise die harmonische Gesamtheit. Jeder Ton hat seinen Sinn, jede Nuance ihre Bedeutung.
Vorletztes Kapitel
Damit führt Maurizio Pollini sein spannendes Experiment weiter, das sich nicht chronologisch, sondern zyklisch der Gesamtheit des Sonatenwerks nähert. Während er zu Beginn seiner Einspielungen sich mittleren und späteren Meisterstücken widmete, arbeitet er in diesem Fall die bereits weit entwickelte Basis des Formbegriffs des Komponisten heraus. Damit entsteht nicht nur für ihn, sondern auch für den Zuhörer eine spannende Perspektive, die auch die sonst gerne im Vergleich zu den bekannten Höhepunkten des Zyklus‘ etwas vernachlässigten frühen Sonaten umfassend würdigt. Die Aufnahmen entstanden in Luzern und in München, an Instrumenten und in Räumen, die der Künstler schon seit langem schätzt. Damit wird auch diese vorletzte Folge von Maurizio Pollinis Beschäftigung mit Beethoven ein Erlebnis der musikalischen Finesse und gestalterischen Perfektion.