Die Karriere von Maurizio Pollini ist eng mit der Musik von Frédéric Chopin verknüpft. Die sinnliche Brillanz der Harmonien und die poetische Virtuosität, die Chopins Werke herausfordern, liegen dem italienischen Pianisten im Blut, der Anfang Januar seinen 75. Geburtstag feiern konnte. Bereits 1960 konnte er mit 18 Jahren den renommierten internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau für sich entscheiden und sich mit der Musik des polnischen Komponisten auf den Olymp der Konzertpianisten katapultieren. Diesen Spitzenplatz hat er seitdem inne und veröffentlicht nun mit dem Album “Chopin – Late Works, op. 59 – 64” im Hause Deutsche Grammophon eine weitere Ode an Chopin, die von einem tiefen Verständnis für dessen musikalische Sprache durchdrungen ist.
Chopins Musik steckt voller Kontraste und sinnlicher Überraschungsmomente. Maurizio Pollini führt die Ohren als formvollendeter Grandseigneur an den Tasten mit gelassener Eleganz durch Chopins Wunderland. Ob im furiosen Walzer Nr. 2 in cis-Moll, oder in der der sich rauschhaft steigernden Polonaise-Fantasie in As-Dur: Pollini lässt die Töne perlen und sprechen und die Zartheit eines Moments im Nu zu tosender Stärke aufblühen. Unter seinen Händen wird Chopins Musik betörend lebendig und wechselt ihre Farben von innerem Leuchten zu expressiver Strahlkraft.
Die Barcarolle op. 60 eröffnet das Album mit einer Prise raffinierter Harmonik und lyrischem Feinsinn. Die Mazurken op. 59 tragen Züge polnischer Volksmusik und sind durchdrungen von zarten Erinnerungen an Chopins Heimat. Melancholische Klänge und harmonische Unruhe bestimmen das Wesen der Nocturnes op. 62, während Chopin in den drei Mazurken Opus 63 wiederum vor jugendlicher Frische übersprudelt und in den Walzern Opus 64 ganz unterschiedliche Gefühlsregungen zum Ausdruck bringt, die sich in unvorhersehbaren Wendungen in der Musik widerspiegeln.
Sämtliche Etüden hat Maurizio Pollini bereits 1972 für die Deutsche Grammophon eingespielt, es folgte eine ganze Reihe filigraner Chopin-Zyklen: die Préludes, die Polonaisen, die Balladen, die Nocturnes sowie ausgewählte Mazurken, Walzer und Scherzi. Das neue Album fokussiert sich auf die Werke op. 59 – 64, die für Chopins letzte Schaffensphase stehen und seine kompositorische Experimentierfreude in dieser Zeit in den Mittelpunkt stellen. Als leidenschaftlicher Vermittler von Chopins musikalischer Sprache ist Maurizio Pollini für die neu entstandenen Aufnahmen tief in Chopins dichte und polyphone Klangwelt eingetaucht und bringt dort auch tragische und abgründige Zwischentöne zum Ausdruck, die unter der Oberfläche der virtuosen Kapriolen verborgen sind.
Maurizio Pollini begegnet den kompositorischen Visionen in Chopins späten Werken mit kühnen Interpretationen, die eine ganz persönliche unerschrockene Annäherung an die Werke offenbaren und jeder romantischen Verklärtheit eine Absage erteilen. Er beschließt das Album dann auch nicht mit großem Getöse, sondern mit der geheimnisvollen, sinnlichen Mazurka op. 68 Nr. 4, die Chopin kurz vor seinem Tod geschrieben hat und findet damit ganz unprätentiös zu einem zutiefst berührenden Abschluss.