Am 9. Februar verstarb Jóhann Jóhannsson. Kurz zuvor war bei DG sein Soundtrack zum Film veröffentlicht worden, der nun in die Kinos kommt. Die Geschichte des Amateurseglers Donald Crowhurst fesselt bis heute: Selbstüberschätzung, Heldentum, Ruhm und Katastrophe sind hier untrennbar miteinander verwoben und ziehen so ambivalent wie menschlich in ihren Bann. Der Film “The Mercy” (Vor uns das Meer), der nun in die Kinos kommt, präsentiert die Geschichte von Crowhurst als vielschichtiges Psychogramm eines Abenteurers, der – vom Hunger nach Erfolg getrieben – letztlich ins Verderben segelte. Die Musik dazu wurde von Jóhann Jóhannsson komponiert, der erst Anfang Februar völlig überraschend verstorben ist und der Nachwelt damit ein packendes Zeugnis seiner Erzählkunst hinterlassen hat.
“Einfachheit ist schwierig”, hat Jóhannsson einmal gesagt. Dabei hat es der Mitbegründer der Neoklassik selbst meisterhaft beherrscht, mit nur wenigen Tönen und subtil wirkenden Klangbildern eine Musik von ungemeiner Intensität und Dichte zu schaffen. Eindringlich und unmittelbar entfalten sich seine Kompositionen und entwickeln in ihrem soghaften Gestus eine enorme Kraft und Tiefenwirkung.
Nach “The Theory of Everything” war “The Mercy” bereits die zweite gemeinsame Filmproduktion von Jóhann Jóhannsson und dem Regisseur James Marsh. 2015 hatte Jóhannssons Musik zum Film den Golden Globe gewonnen und Nominierungen für den Oscar®, BAFTA, Grammy® und Critics' Choice erhalten. Zu der außergewöhnlichen und düsteren Geschichte von Crowhurst, der im Sommer 1969 aufbrach, um alleine die Welt zu umsegeln und niemals wiederkehrte, sagte Jóhannsson: “Es ist ein historisches Drama, das Ender der 1960er Jahre in England spielt und es hat eine dunkle Seite. Ich war fasziniert von der Geschichte, die an das Heldentum und die Hybris der antiken Mythen erinnert. Crowhurst ist eine bezwingende Persönlichkeit”.
Jóhann Jóhannsson hat in seinem Soundtrack zu “The Mercy” einmal mehr eindrucksvoll bewiesen, mit welchem Feingefühl und welcher klangsinnlichen Raffinesse er in der Lage war, die feinen Zwischentöne und psychologischen Wendungen einer Geschichte in Musik zu übersetzen. Dabei hat er neue Kompositionen mit Auszügen aus seinen Werken “Orphée”, “Englabörn”, “Free the Mind” und “Copenhagen Dreams” kombiniert und seine musikalischen Schöpfungen faszinierend dicht und einnehmend miteinander in Beziehung gesetzt. Hoch konzentriert und subtil packend zeigt sich Jóhannsson als minimalistischer Klanggestalter, der eine maximale Intensität erreicht. Durch die Musik des Isländers gewinnt die Geschichte des Donald Crowhurst noch einmal an Dramatik und Ambivalenz. Das unheilvoll wogende Meer spiegelt sich dabei kunstvoll in der Musik wieder: So lässt der Komponist die verschiedensten Facetten der Persönlichkeit von Crowhurst spürbar werden und entwirft er das musikalisch packende Bild eines Mannes zwischen Heldentum, Hybris und Hoffnungslosigkeit. Es ist von großer Tragik, dass der Soundtrack zu “The Mercy” der letzte Soundtrack von Jóhannsson geworden ist. Er hätte sicher noch viele Geschichten zu erzählen gehabt.