Großer Auftritt auf Schloss Esterházy – Grigory Sokolov brilliert mit Haydn und Schubert

Grigory Sokolov ist ein Meister spannungsgeladener Konzertprogramme. Kaum ein Pianist vermag einen Soloabend so anspruchsvoll und unterhaltsam zu gestalten wie der eigenwillige Virtuose. Wie durch ein Wunder gelingt es ihm stets, Komponisten aus unterschiedlichen Epochen der Musikgeschichte in ihrer je eigenen Klangwelt zu würdigen und zugleich das Gefühl eines ewigen Stroms entstehen zu lassen, in dem alle große Klaviermusik zusammenfließt. Deshalb ist es für Klavierliebhaber immer ein Ereignis, wenn Sokolov, den nicht nur Daniel Barenboim für den derzeit “besten Pianisten von allen” hält, einen Live-Mitschnitt zur Veröffentlichung freigibt. Auf seinem neuen Album präsentiert der Ausnahmekünstler jetzt einen Auftritt, den er im September 2018 auf Schloss Esterházy absolvierte. Dort hatte er im Hauptprogramm drei Sonaten von Joseph Haydn und vier Impromptus von Franz Schubert zum Besten gegeben, bevor er den Abend mit Zugaben von Schubert, Chopin, Griboyedov, Rameau und Debussy unter großem Beifall krönte. 

Ein Hauch wienerischen Glanzes 

Die Regisseurin Nadia Zhdanova hat das Ereignis filmisch festgehalten. Ihre Arbeit liegt der physischen Ausgabe des Live-Albums als Blu-ray Disc bei. Der auch in der digitalen Edition von “Grigory Sokolov at Esterházy Palace” verfügbare Film lohnt sich. Durch ihn rückt man nicht nur dem unverwechselbaren Charisma des Pianisten näher, der am Klavier wie in einer eigenen Welt agiert, sondern gewinnt auch starke Eindrücke von dem geschichtsträchtigen Ort, an dem das Konzert stattfand. Das Schloss Esterházy in Eisenstadt ist für die Entwicklung der Wiener Klassik von zentraler Bedeutung. Am Hof der ungarischen Magnatenfamilie, rund 50 Kilometer von Wien entfernt, entfaltete Haydn in den Jahren 1761 bis 1790 als Kapellmeister und Komponist eine starke musikalische Wirkung. Der Film fängt die großzügige Atmosphäre des prächtigen Orts ein. Man bekommt ein Gespür für den Kunstsinn der Fürsten, für die Lust an Formen und Farben, die das Hofleben prägte und sich in Haydns mitreißender Musik kongenial spiegelte. Ein Hauch von wienerischem Glanz durchzieht den festlichen Haydnsaal, der mit üppigen Gemälden von Friedrich Rhode, dem Hofmaler der Esterházys, ausgestattet ist.

Schwebende Leichtigkeit

Sokolov nimmt diese Stimmung auf, wenn er sich mit Haydn und Schubert melancholisch durch den Abend tanzt. Sein Spiel wirkt entrückt, als wäre es nicht von dieser Welt. Haydns farbenreiche Sonaten in g-Moll (Hob. XVI:44), h-Moll-Sonate (Hob. XVI:32) und cis-Moll (Hob. XVI:36) interpretiert der Pianist mit schwebender Leichtigkeit. Faszinierend: sein perfektes Legato und das vergleichsweise langsame Tempo, mit dem er jede harmonische Feinheit Haydns auskostet. 

Diese Detailfreude macht sich auch in Schuberts Impromptus D. 935 bezahlt, deren sangliche Dimensionen und emotionale Kontraste Sokolov einzigartig zur Geltung bringt. Bestechend, wie elegant er in dem dritten Impromptu zwischen der naiven Stimmung zu Beginn, der dramatisch-leidenschaftlichen Zuspitzung und dem sanften Perlen gegen Ende changiert. Das wird nur mehr übertroffen durch das breite Klangspektrum der Zugaben, aus denen Griboyedovs träumerischer Walzer in e-Moll als besondere Trouvaille hervorsticht.