Archäologische Spurensuche interessiere ihn eigentlich nicht, meint der Geiger und Barock-Spezialist Giuliano Carmignola. Es gehe ihm vielmehr um den Spaß beim Spielen und die Freude von Entdeckungen im Interpretieren selten aufgeführter oder gar ganz vergessener Kompositionen. So erklärt sich auch, dass Carmignola zusammen mit dem Cembalisten und Ensembleleiter Andrea Marcon und dem Venice Baroque Orchestra mit „Concerto italiano“ zum einen Werke von Domencio dall’Oglio oder Pietro Nardini der Vergangenheit entreißt, trotzdem dabei aber klingt, als wären diese Konzerte eben erst von ihren Schöpfern erschaffen worden. Das ist Kunst mit einem Augenzwinkern und einem Ansatz, der auch Menschen begeistert, denen die historischen Persönlichkeiten des italienischen Barocks nicht bis in die Nebenlinien geläufig sind.
Giuliano Carmignola ist selbst ein Günstling des Schicksals. Eine außergewöhnliche Musikalität wurde ihm in die Wiege gelegt, die von Kinderjahren an umsichtig und zielstrebig gefördert wurde. Die ersten Geigenstunden erhielt er von seinem Vater. Bald darauf genügte dessen Erfahrung nicht mehr und der Junge verließ seine Heimatstadt Treviso, um bei Kapazitäten wie Nathan Milstein, Franco Gulli und Henryk Szeryng zu studieren. Es kam, wie erhofft. Carmignola gewann 1973 den Paganini-Wettbewerb in Genua, stieg in die erste Liga der international gefeierten Solisten auf und untermauerte als Mitglied der Virtuosi di Roma oder an der Seite von Claudio Abbado und Giusepe Sinopoli seinen guten Ruf. Und er entdeckte neben der bereits von seinem Vater wach gerufenen Begeisterung für die Musik des Barocks seine spezielle Vorliebe für die historische Aufführungspraxis. Carmignola beschäftigte sich nach den Tagen bei den Virtuosi ausführlich mit der Musik des 18.Jahrhunderts und lernte mit dem Cembalisten, Organisten und Musikwissenschaftler Andrea Marcon einen Gleichgesinnten kennen, der ihn auf seinem eigenen Weg weiter brachte. Gemeinsam durchwandern sie nun seit mehreren Jahren die Klangwelten der Vergangenheit und haben auch für „Concerto italiano“ ungewöhnliche Musikstücke ausfindig gemacht.
Das Programm des Albums umfasst vier Werke, wobei die „Concerti“ von Michele Stratico, Domencio dall’Oglio und Pietro Nardini zum ersten Mal überhaupt auf CD zu hören sind. Nur das Violinkonzert von Antonio Lolli war bereits weiter ins Bewusstsein der Interpreten vorgedrungen. Dabei gehörten alle vier Komponisten zu den Koryphäen ihrer Zeit, die nicht nur als Verfasser, sondern auch als Interpreten ihrer Werke einen Namen hatten. Als der Musikwissenschaftler Olivier Fourés daher Werke von Stratico, ;DallOglio und Nardini in den Tiefen des Archivs der University of California in Berkeley entdeckte, war das Interesse Carmignolas und Marcons groß, den Virtuosen des Barock ein Denkmal zu setzen. Nardini und Stratico waren schließlich Schüler des großen Tartini und so findet man in ihren Konzerten sowohl die Anlagen der italienischen barocken Schule als auch reichlich individuelle Momente, die diese künstlerischen Höhenflüge aus dem Gros des zeitgenössischen Musikschaffens herausheben. Sie werden unter Carmignolas Bogen und Marcons Ensemble-Leitung ebenso wie die Werke von Dall’Oglio und Lolli zu faszinierend virtuosen und zugleich ästhetisch ungemein direkt wirkenden Klang-Erkundungen einer Epoche, die noch viele Überraschungen zu bieten hat.
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