Seine Ausstrahlung ist enorm. Wenn Gidon Kremer einen Raum oder die Konzertbühne betritt, dann richten sich alle Augen sofort auf ihn und eine Atmosphäre äußerster Konzentration entsteht. Der hochdekorierte Geiger aus dem Baltikum, der 2016 in Tokyo den als Nobelpreis der Künste geltenden Praemium Imperiale entgegennahm, verfügt über eine fast magische Autorität. Jedenfalls überträgt sich seine musikalische Fokussiertheit oft unmittelbar auf das Publikum, das sein lebhaftes, in der Spannung nie nachlassendes Geigenspiel liebt und sich gern davon in Bann ziehen lässt.
Kaum zu glauben, dass dieser hochvitale Künstler schon sieben Jahrzehnte auf dem Buckel hat. Aber so ist es. Gidon Kremer feiert am 27. Februar 2017 seinen 70. Geburtstag. Dabei blickt der kosmopolitische Lette auf eine bewegte Solokariere zurück, die ihn um den ganzen Globus geführt hat und ihm weltweit Bewunderung eintrug. Aufgewachsen in Riga, ließ Kremer sich in den 1960er Jahren am Moskauer Konservatorium ausbilden. Als Schüler des russischen Jahrhundertgeigers David Oistrach eignete er sich früh schon ein breites Repertoire und eine ausgefeilte Technik an.
Der künstlerische Eigensinn entwickelte sich wie von selbst. Gidon Kremer besaß seit jeher ein neugieriges Temperament. Er liebte musikalische Entdeckungsreisen, und so bereitete ihm die sowjetische Kulturpolitik mit den Jahren mehr und mehr Unbehagen. Ende der 1970er Jahre entschied er sich für den Westen. Der Musikkultur des Ostens hielt er jedoch die Treue. Seine enge Zusammenarbeit mit Arvo Pärt, die musikalisch überaus fruchtbare Freundschaft mit Alfred Schnittke und sein Kammerorchester, die Kremerata Baltica, sind beredte Zeugnisse hierfür.
Was das Repertoire anbelangt, so legte Gidon Kremer immer schon eine große Offenheit an den Tag. Er hat Bach und Vivaldi gespielt, er liebt klassisch-romantisches Repertoire, aber er ist auch mit zeitgenössischen Avantgardisten vertraut und hat sich mit seinen Aufnahmen des Tango-Komponisten Astor Piazzolla als musikalischer Grenzgänger par excellence bewährt. Wer sich einen Eindruck von dem vielfältigen Gesamtwerk des lettischen Geigers verschaffen will, der sei auf die prächtige Edition “Gidon Kremer – Complete Recordings on Deutsche Grammophon” verwiesen.
Begleitet von einem unterhaltsamen Booklet, finden sich hier auf 22 Tonträgern sämtliche Aufnahmen, die Gidon Kremer für Deutsche Grammophon getätigt hat. Das Spektrum ist enorm. Es reicht von Bach, Vivaldi, Mozart, Paganini, Beethoven, Schubert, Brahms und Tschaikowsky bis hin zu musikalischen Neuerern wie Alban Berg oder Béla Bartók und jüngeren Komponisten der Avantgarde wie Alfred Schnittke, Arvo Pärt, Sofia Gubaidulina, Philipp Glass oder Giya Kancheli.
Viele bedeutende Aufnahmen von Gidon Kremer finden sich bei dem Münchener Label ECM. Kremer hat dort unter anderem Werke von Bach, Mahler, Schubert und Tschaikowsky aufgenommen und war an der Seite von Keith Jarrett an Arvo Pärts Kultalbum “Tabula Rasa” beteiligt. Wer gefühlvolle, romantische Kammermusik mit modernen Einsprengseln schätzt, der sollte auf Kremers jüngstes ECM-Album “Mieczysław Weinberg: Chamber Symphonies” zugreifen.
Nicht minder emotional geht es auf Kremers aktuellem Album zu. An der Seite von Daniil Trifonov (Klavier) und Giedrė Dirvanauskaitė (Cello) entfaltet er hier Rachmaninos melancholische Klangpoesie. “Preghiera – Rachmaninov: Piano Trios” dokumentiert einmal mehr Kremers ungebrochene Vitalität und seine sympathische Bereitschaft, sich immer wieder von Neuem auf junge Leute einzulassen.