“So etwas war damals schon selten und ist heute ausgestorben”, schreibt Eleonore Büning über Ferenc Fricsay, “ein Dirigent mit einer so gründlichen Universal- und instrumentaltechnischen Ausbildung, daß er jedes Orchestermitglied zur Not selbst ersetzen könnte.” Fricsay, 1914 als Sohn eines Militärkapellmeisters in Budapest geboren, spielte schon im Knabenalter im Orchester des Vaters mit und sprang mit 15 erstmals für diesen ein. Ersten Klavierunterricht erhielt er mit sechs Jahren.
Wenig später nahm er auch noch Geige, Posaune, Klarinette und Schlagzeugschlegel zur Hand. Er studierte an der Franz Liszt-Musikakademie Komponieren, Musikgeschichte und Dirigieren bei Kodály, Bartók, Weiner und Dohnanyi. Die Verbindung zur Budapester Akademie hat Fricsay zeitlebens nicht abreißen lassen. Bevorzugt hat er mit ihren Absolventen gearbeitet, den Pianisten Andor Földes und Géza Anda, den Geigern Tibor Varga und Johanna Martzy, dem Cellisten Janos Starker.
Fricsay war dafür bekannt, ausgiebig und streng zu proben. Dabei kam sein umfassendes Wissen um die Möglichkeiten des Orchesters voll zum Tragen. Beeindruckendes Zeugnis seiner Arbeitsweise ist der legendäre Mitschnitt einer Probe von Smetanas “Die Moldau” aus dem Jahr 1960. Fricsay besteht auf genauester Befolgung der Partitur, ermutigt die Spieler, wie Kammermusiker aufeinander zu hören, und feilt unermüdlich an einem sorgfältig ausbalancierten und transparenten Klang.
Die Sopranistin Maria Stader erinnert sich: “… nach Proben, in denen er das gesteckte Ziel nicht erreichte und Widerstand verspürte, war er der Verzweiflung nahe. Er brauchte ein gleichstimmiges Mitgehen, ein Wachsein, ein Echo für seine Intentionen. War dieses Echo einmal hergestellt, dann konnte er seine Mitarbeiter zu Höchstleistungen hinreissen.”
Fricsays moderner, von Präzision, Brillanz und leidenschaftlichem Zugriff geprägter Stil stand für den Beginn einer neuen musikalischen Ära im Nachkriegseuropa und setzte sich deutlich von den klassisch-romantischen Deutungen eines Wilhelm Furtwängler oder Otto Klemperer ab. Zugleich machte er ihn, der sich im Gegensatz zu vielen Kollegen auch für moderne Technologie interessierte, zu einem idealen Dirigenten für Plattenaufnahmen. Bei der Qualitätskontrolle entschied Fricsay kompromisslos. Freigaben erteilte er nur, wenn das Resultat einer Aufnahme seinen Vorstellungen voll und ganz entsprach.
Von 1948 bis zu seinem vorzeitigen Tod 1963 nahm Ferenc Fricsay für die Deutsche Grammophon Gesellschaft auf – gerade einmal zwölf Jahre, zieht man die Monate der Krankheit, Operationen und Genesung ab. In dieser kurzen Zeit nahm der Dirigent an die 200 Schallplatten auf, vielfach ausgezeichnet und wie im Fall seiner Aufnahmen von Bartók, Kodály und Mozart noch heute mit Referenzcharakter.
Zum 100. Geburtstag von Ferenc Fricsay gibt Deutsche Grammophon 2014 sämtliche Aufnahmen des Dirigenten neu heraus. Den Anfang macht Vol 1: Orchestral Works mit der ersten Sammlung aller Orchester-Aufnahmen Fricsays. Die 45 CDs-Box beinhaltet neben Symphonien von Beethoven, Schubert, Schumann, Haydn und Tschaikowski die legendären Einspielungen der Mozart-Symphonien und der Mozart-Klavierkonzerte mit Clara Haskil, außerdem exemplarische Interpretationen der Werke Bartóks und Kodálys und Aufnahmen weiterer Komponisten der klassischen Moderne wie Blacher, von Einem, Honegger, Hindemith und Hartmann.
Unter den Solisten befinden sich bedeutende Interpreten wie Géza Anda, Janos Starker, Yehudi Menuhin, Irmgard Seefried und Dietrich Fischer-Dieskau. Es spielen das Radio-Symphonie-Orchester Berlin, das RIAS-Symphonie-Orchester Berlin und die Berliner Philharmoniker. Eine vollständige Audio-Aufnahme der 1960er Probe von “Die Moldau” rundet diese Box ab.