Emily D’Angelo ist eine außergewöhnliche Erscheinung in der Klassikszene. Mit cooler Grazie, tiefsinnigen Programmkonzepten und betörender Stimme steht die kanadische Mezzosopranistin für sich und schlägt in ihrer Kunst spannende Brücken zwischen den Zeiten. Nun erscheint das Debütalbum der Künstlerin bei Deutsche Grammophon, das unter dem Titel “enargeia” ein ungewöhnliches Programm mit Musik aus dem 12. und 21. Jahrhundert vereint – von Hildegard von Bingen bis zu Hildur Guðnadóttir vereint und in Zusammenarbeit mit verschiedenen renommierten Künstlern entstanden ist. Das Album erscheint als CD, LP sowie als e-Album am 8. Oktober.
Zentrale Inspirationsquelle und Schlüsselfigur für das besondere Projekt D’Angelos war die visionäre Äbtissin, Universalgelehrte und Komponistin Hildegard von Bingen, die für die Sängerin eine künstlerische Lichtgestalt darstellt. “Ich entdeckte ihre Musik als Kind, als ich im Chor sang, und war wie gebannt”, so D’Angelo. Noch nie habe sie zuvor so etwas gehört, und doch habe es vertraut und richtig geklungen. Für ihr Album hat D‘Angelo nun Werke ausgewählt, die an Bingens musikalisches Grundverständnis anknüpfen und “die Offenheit ihrer Kompositionen, ihre Ausdrucksvielfalt und ihren Glauben an Musik als höhere Form der Kommunikation” weitertragen. Dies spiegelt sich insbesondere in der Verbindung von Wort, Rhythmus und Tonhöhe. Von von Bingen selbst sind zwei Stücke auf dem Album, zum einen der Gesang zum Lob göttlicher Weisheit “O virtus Sapientiae”, zum anderen die Antiphon an die Jungfrau Maria “O frondens virga”, die in Bearbeitungen der zeitgenössischen amerikanischen Komponistinnen Sarah Kirkland Snider und Missy Mazzoli zu hören sind.
Neben den Werken mit direktem Bezug zu Hildegard von Bingen finden sich Originalwerke von drei zeitgenössischen Komponistinnen auf dem Album, die D’Angelo fein aufeinander abgestimmt hat. “Alle Stücke bauen aufeinander auf, zusammen ergeben sie ein größeres Ganzes: ein exploratives Hörerlebnis”, so die Sängerin. Neben Bingens Stücken sind das die “Vesper for a New Dark Age” der Komponistin Missy Mazzoli, die säkulare Lyrik des zeitgenössischen amerikanischen Schriftstellers Matthew Zapruder enthält, ergänzt durch Auszüge aus Mazzolis dramatischer Kammeroper “Song from the Uproar”. Außerdem interpretiert D‘Angelo Auszüge aus dem Liederzyklus “Penelope” von Sarah Kirkland Snider, der die Themen Erinnerung, Identität und Heimkehr ausleuchtet. Vergangenheit und Gegenwart begegnen sich im Werk der isländischen Tonschöpferin Hildur Guðnadóttir, etwa in “Fólk faer andlit”, in dem sich D’Angelos Stimme über Bläsern und Streichern in zurückhaltender Klage erhebt, während sie “Liður”, einen Auszug aus Guðnadóttirs preisgekrönter Musik für die Fernsehserie Chernobyl, voll tiefer Melancholie durchdringt. So wird das Album zu einer klanglichen Reise quer durch spirituelle Welten, die sowohl elektronische als auch kammermusikalische Arrangements umfasst.
Neben Emily D’Angelo, die auf ihrem packenden Debütalbum mit dunklem und eindringlichen Timbre in den Bann zieht, sind verschiedene andere Künstler zu erleben, darunter das freie orchester Berlin, geleitet von Jarkko Riihimäki, sowie das Kuss Quartett, das Matangi Quartet und die Instrumentalisten Wolfgang Fischer, René Flächsenhaar, Mikayel Hakhnazaryan, Frédéric L’Épée, Jonas Niederstadt, Marc Prietzel, Marion Ravot, Christian Vogel und Norbert Wahren. Aus dem intensiven Zusammenspiel der verschiedenen Musiker entsteht dabei ein hypnotischer Sog, der die Werke der Komponistinnen zu einem eindrucksvollen Gesamtkunstwerk verschmelzen lässt.